Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
er keinen Kopf kürzer gemacht.«
Er hatte also seinen Blick auf London bekommen. King James’ Invasionsversuch hingegen war gescheitert. Die Engländer hatten seine Schiffe nach Norden verfolgt, bis das schlechte Wetter sie schließlich zur Rückkehr nach Frankreich zwang, und seinen Anhängern tatsächlich die von Captain Gordon prophezeiten schweren Zeiten beschert.
»Graham?«
»Aye?«
»Wer wurde wegen seiner Teilnahme an dem Aufstand zum Tode verurteilt?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete er schläfrig.
»Aber die Engländer trieben alle Jakobiten zusammen und steckten sie ins Gefängnis, oder?«
»Aye. Die meisten Adeligen wurden in Ketten nach London gebracht, wo man sie dem Mob vorführte.«
»Befand sich der Earl of Erroll unter ihnen?«, fragte ich.
Graham nickte. »Angeblich wurde er so wütend, dass er mit einer Flasche nach dem Earl of Marischal warf und ihn am Kopf traf.«
»Vermutlich hatte der Earl of Marischal es verdient.«
Ich spürte Grahams Mund auf meiner Haut. »Du verteidigst ihn?«
Wie sollte ich ihm erklären, dass ich das Wesen des Earl of Erroll besser kannte als jeder Historiker, dass er für mich keine fiktionale Figur war, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut? Genau wie alle anderen, an deren Gesichter und Stimmen ich mich erinnerte.
»Graham?«
»Hm?«, murmelte er schläfrig.
»Was geschah mit ihnen, als sie in London waren? Wurden sie am Ende freigelassen?«
Ich hörte nur seinen regelmäßigen Atem. Er war eingeschlafen. Da mir die Frage, die ich ihm gestellt hatte, keine Ruhe ließ, löste ich mich am Ende aus Grahams Armen und tappte hinunter in die Küche.
19
In jenen Tagen verließ Sophia das Haus nicht oft. Obwohl inzwischen zwei Monate vergangen waren und der Frühling mildere Lüfte vom Meer hereinwehte, blieb sie mit Mrs. Malcolm, Kirsty und ihrer kleinen Tochter im Haus und ging nur hinaus, wenn ihre innere Unruhe sie zu übermannen drohte.
Sie hatten nichts von Mr. Malcolm gehört und wussten nicht, wie es ihm ging. Immer mehr Männer wurden festgenommen und ins Gefängnis gesteckt, und im Norden sah es nicht besser aus. Der einzige Trost stammte aus einer Nachricht des Duke of Perth an seine Schwester, die Countess, von der diese in einem Brief berichtete: »Mr. Perkins«, sie verwendete wieder seinen Decknamen, »teilt mir mit, dass er vor Kurzem Ihren Gatten Mr. Milton besucht hat, der von seiner Krankheit genesen ist und ungeduldig darauf wartet, wieder auf die Beine zu kommen.« Was bedeutete, dass Moray sicher nach Frankreich gelangt war und sich von seinen Verletzungen erholt hatte.
Dieses Wissen beruhigte sie, genau wie der Anblick ihrer kleinen Anna in der Wiege, und jeden Tag ermahnte sie sich von Neuem, ihr zuliebe vorsichtig zu sein.
An jenem Tag hätte sie sich nicht auf die Straße gewagt, wenn Mrs. Malcolms Magd nicht krank geworden wäre, so dass jemand anders zum Markt gehen musste. Kirsty hatte sich erboten, doch da sie ebenfalls krank gewesen und noch nicht gänzlich wiederhergestellt war, wollte Sophia davon nichts hören. Und Mrs. Malcolm hatten schon zweimal Soldaten angesprochen, die nach ihrem Mann suchten.
Sophia machte sich vor Tagesanbruch auf den Weg und erreichte die ersten Häuser von Edinburgh am frühen Morgen.
Als sie das Geräusch sich von hinten nähernder Hufe und Räder hörte, drehte sie sich neugierig um. Die Kutsche sah teuer aus, der Fahrer trug eine prächtige Livree, und die Pferde wirkten gut genährt und gepflegt.
Da hörte sie aus dem Innern eine Stimme, die den Kutscher anwies stehen zu bleiben, und am Fenster erschien ein Gesicht, das Sophia kannte.
»Mistress Paterson!«, rief Mr. Hall aus. »Was machen Sie denn hier? Steigen Sie ein – Sie sollten auf diesen Straßen nicht allein herumlaufen.«
Bei ihrem Aufbruch hatte sie Sorge gehabt, dass man sie als Mrs. Milton erkennen würde, die im Haus von Mr. Malcolm wohnte, aber es war ihr keinen Moment in den Sinn gekommen, dass jemand sie als Mistress Paterson ansprechen könnte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich von dem Geistlichen in die Kutsche helfen zu lassen.
In der noch jemand saß.
»Ein höchst unerwartetes Vergnügen«, begrüßte sie der Duke of Hamilton. Er trug ein tiefblaues Samtgewand und eine neue, teure Perücke, die in dunklen Locken bis über seine Schultern reichte.
»Duke«, erwiderte Sophia, der die Kutsche plötzlich schrecklich eng erschien, mit gesenktem Blick.
»Wo wollen Sie denn
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