Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
würde er nichts erfahren, dafür würde sie sorgen.
Mittlerweile hatten sie den Stand erreicht, auf dem Bänder, Spitze und Seide zum Verkauf angeboten wurden. Sophia nahm nacheinander mehrere in die Hand und stieß dann wie durch ein Versehen drei Spulen herunter, die sich abwickelten und Verwirrung bei den Vorbeigehenden stifteten.
»Oh!«, rief sie aus und entschuldigte sich voller Bestürzung.
»Kein Problem«, versicherte Mr. Hall ihr und half der Verkäuferin, die Spulen einzusammeln. »Ich bringe das wieder in Ordnung.«
Sophia wartete, bis alle in ihre Aufgabe vertieft waren, bevor sie in den dunklen Durchgang zwischen den Häusern schlüpfte und zu rennen begann, so schnell ihre Füße sie trugen. Die Gasse stank nach Abfall, aber zum Glück führte sie auf eine steil nach unten gehende, offenbar menschenleere Straße, von der aus sie sich einen Weg zu einem Friedhof mit hoher Steinmauer und Tor suchte, wo sie sich zwischen den schiefen Grabsteinen versteckte.
Sie wagte es nicht, bei Tageslicht auf die Straße zurückzukehren, weil der Duke sie dort zuerst suchen würde, also beschloss sie zu warten, bis es dunkel wäre.
Der Nachmittag zog sich scheinbar endlos dahin. Der Kopf tat ihr weh, der Magen knurrte, die Zunge klebte trocken am Gaumen, und bei jedem Schritt, den sie jenseits der Mauer vernahm, begann ihr Herz wie wild zu klopfen.
Als die Schatten länger und die Geräusche von der Straße leiser wurden, atmete sie tief durch, streckte die verkrampften Glieder und machte sich vorsichtig auf den langen Heimweg. Beim Haus der Malcolms war sie fast am Ende ihrer Kräfte.
Kirsty und ihre Gastgeberin empfingen sie mit aufgeregten Fragen, doch bevor sie sie beantwortete, wollte sie von Kirsty wissen: »Ist in der Zwischenzeit jemand hier gewesen?«
»Nein«, sagte Kirsty voller Angst. »Was ist denn passiert?«
»Wir müssen weg.« Sophia sah Mrs. Malcolm an. »Können Sie zu dieser späten Stunde noch Pferde oder eine Kutsche für uns besorgen?«
»Ich versuche es.«
»Und Anna … Wir müssen sie fest einpacken, damit sie nicht friert.«
»Sophia«, fragte Kirsty noch einmal, »was ist passiert?«
»Hier sind wir nicht mehr sicher«, erklärte Sophia.
»Aber …«
»Wir sind nicht mehr sicher«, wiederholte Sophia.
Es war das Beste, wenn Mrs. Malcolm so wenig wie möglich über ihre Reise erfuhr, weil ihr dann niemand etwas entlocken konnte.
Sie mussten zur Countess zurückkehren, denn sie allein würde wissen, was zu tun sei, dachte Sophia.
Es hatte zu schneien angefangen, das letzte schwache Aufbäumen des Winters. Der Wind fuhr eisig in meine Kleidung, bis Graham meine Jacke zuknöpfte. Als er sein gestreiftes Rugby-Shirt darunter entdeckte, musste er lachen.
»Lass dich darin mal lieber nicht von meinem Bruder erwischen«, riet er mir.
»Macht’s dir wirklich nichts aus, wenn ich es mitnehme?«
»Du hast es dieses Wochenende öfter getragen als ich in den letzten Jahren. Außerdem steht dir die Farbe.« Als der Wind weitere Schneeflocken heranwehte, drückte er mich fester an sich.
Ich empfand es als merkwürdig, Zärtlichkeiten in aller Öffentlichkeit auszutauschen, an einer Bushaltestelle, umringt von anderen Menschen. In Aberdeen begann ich zu ahnen, wie die Zukunft aussehen konnte und würde. Und diese Aussicht gefiel mir.
»Was ist?«, fragte Graham.
»Nichts. Es war ein wirklich schönes Wochenende.«
»Du musst nicht fahren.«
»Alle wissen, dass ich heute zurückkomme, und ich möchte deinen Vater nicht beunruhigen.« Ich hob den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. »Schließlich kannst du ihn nicht einfach anrufen und ihm sagen, wo ich bin, oder?«
Graham grinste. »So puritanisch ist mein Dad auch wieder nicht.«
»Trotzdem.« Ich warf einen Blick auf die Uhr über der Haltestelle. »Der Bus hat Verspätung.«
»Kein Problem.«
»Du musst nicht mit mir warten. Natürlich ist es sehr edel von dir, dass du mich begleitet hast, aber …«
»Und wer ist daran schuld? Du hättest dich von mir zurückfahren lassen können.«
»Und du hättest mich ein Taxi nehmen lassen sollen«, erwiderte ich.
»Aye, aber kein echter Schotte würde seiner Freundin gestatten, dreißig Pfund fürs Taxi rauszuwerfen, wenn der Bus sie für fünf ans Ziel bringt.«
»Dann bin ich also deine Freundin?«
»Aye.« Er drückte mich fester an sich. »Du warst die Meine, vom ersten Augenblick an.«
Mit genau diesen Worten hatte sich Moray von Sophia verabschiedet. »Du hast
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