Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
aus ich bequem zu Fuß zum Holyroodhouse hätte gehen können, um die alten Gemächer des Duke of Hamilton zu besichtigen und mehr Details für die Szenen zwischen Sophia und ihm am Anfang meiner Geschichte zu sammeln.
Doch ich tat es nicht, zum Teil deshalb, weil ich gar nicht wissen wollte, wie die Räume aussahen. Am Ende wären sie möglicherweise wieder genau so gewesen, wie ich sie mir vorstellte.
Ich redete mir ein, nicht genug Zeit für Besichtigungen zu haben. Schließlich musste ich mich durch jede Menge Dokumente wühlen.
Und so saß ich am Mittwochvormittag im Lesesaal und ging die Privatkorrespondenz des Duke of Hamilton durch.
Seine Briefe verschafften mir eine klarere Vorstellung von dem Mann sowie von seiner zwiespältigen Haltung als Patriot und Verräter, der sich selbst vermutlich nicht als solcher verstanden hätte. Wahrscheinlich war er nur auf seinen Vorteil bedacht gewesen. Seine politischen und privaten Entscheidungen, über die sogar viele seiner Freunde in ihren Briefen Unverständnis äußerten, ließen sich alle darauf reduzieren.
Da er ständig unter Geldmangel litt und eine reiche Erbin mit großen Anwesen in England heiratete, neigte er nicht dazu, die Engländer zu provozieren, die ihn sonst um die Hauptquelle seines Einkommens gebracht hätten. Vor dem Parlament schwang er Reden gegen die Union, aber wenn andere Taten folgen lassen wollten, hielt er sie mit leeren Versprechungen hin, bis die Gelegenheit vorüber war, und sorgte so dafür, dass die Union schließlich ihren Lauf nahm. In seinen Briefen hinterließ er tunlichst keinen klaren Hinweis darauf, dass er in Diensten Englands stand.
Da räusperte sich jemand.
Als ich den Blick hob, sah ich eine jüngere Angestellte neben mir stehen, die ein wenig nervös wirkte. »Entschuldigen Sie, sind Sie Carolyn McClelland?«
»Ja.« Ich lächelte höflich.
»Ich habe alle Ihre Bücher gelesen. Sie sind einfach toll.«
»Danke.«
»Ich liebe Geschichte. Sonst würde ich ja auch nicht hier arbeiten. Aber Sie erwecken sie wirklich zum Leben.«
Wenn jemand sich die Mühe machte, mir zu sagen, dass er meine Bücher mochte, wusste ich das zu schätzen. Da ich die meiste Zeit allein am Computer arbeitete, ließ ich mich gern daran erinnern, dass sich am Ende Leser über meine Stories freuten. Leute wie die junge Angestellte sorgten dafür, dass sich meine Bücher gut verkauften.
Ich legte den Stift weg und fragte: »Und wie heißen Sie?«
»Kirsty.«
»In meinem neuen Buch kommt eine Figur dieses Namens vor.«
Sie strahlte. »Recherchieren Sie gerade dafür?« Sie warf einen Blick auf die Papiere, die auf dem Tisch ausgebreitet lagen. »Sind das Dokumente über die Hamiltons?«
»Ja, der vierte Duke spielt ebenfalls eine Rolle, und über ihn informiere ich mich gerade.« Die Leute um uns herum begannen, ihre Sachen zusammenzupacken. Offenbar wurde der Lesesaal geschlossen. Wie hatte der Tag so schnell vergehen können?
»Mir kommt es vor, als hätte ich mich gerade erst hingesetzt«, sagte ich. »Tja, dann werde ich wohl morgen früh noch mal vorbeischauen müssen.«
Kirsty strahlte. »Glauben Sie …«, begann sie. »Wenn ich eins Ihrer Bücher mitbringe …«
»Aber natürlich. Ich signiere es gern.«
»Damit würden Sie mir eine große Freude machen!«
Als ich den Lesesaal am nächsten Morgen betrat, stellte ich fest, dass sie nicht nur Bücher – ausnahmslos gebundene, offenbar mehr als einmal gelesene Ausgaben – mitgebracht, sondern sich die Mühe gemacht hatte, Papiere bereitzulegen, die mir ihrer Meinung nach bei meinen Recherchen helfen konnten. »Es handelt sich in der Hauptsache um Familiendokumente, die einen Bezug zum Duke of Hamilton haben. Die Briefe stammen nicht von berühmten Leuten, und kaum einer weiß, dass sie sich hier befinden.«
Gerührt signierte ich alle ihre Bücher mit einem herzlichen Dankeschön für ihre Hilfe.
Die Papiere, die sie mir herausgesucht hatte, entpuppten sich als interessanter als die eigenen Briefe des Duke. Es war immer gut, eine Person auch aus der Perspektive eines anderen kennenzulernen. Am späten Vormittag hatte ich das Gefühl, alles über ihn zu wissen.
Bis ich den nächsten Brief las.
Es handelte sich um das Schreiben eines Edinburgher Arztes an seinen jüngeren Bruder, datiert auf den 19. April 1707. Nach einem halbseitigen Bericht über einen sterbenden Patienten hieß es darin: »Bei meiner Heimkehr begegnete ich Mr. Hall, an den Du Dich sicher von unserem
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