Das schottische Vermächtnis: Roman (German Edition)
Aber zu Beginn von Queen Annes Herrschaft machte er den Fehler, ein satirisches Pamphlet zu verfassen, das der Königin nicht gefiel, und so wurde er verhaftet. Weil er gerade pleite war, nahm er das Angebot an, das ihm Premierminister Robert Harley als Alternative zu Gefängnis und Pranger machte. Harley war der erste Spitzel der Königin.«
Den Namen kannte ich.
»Harley«, fuhr Dr. Weir fort, »erkannte sehr schnell, wie günstig es wäre, wenn jemand wie Defoe Propagandaschriften für ihn formulierte. Kurz vor der Ratifizierung der Union schickte Harley ihn nach Edinburgh, um sie hinter den Kulissen zu propagieren und ihre Gegner zu diskreditieren, unter dem Vorwand, er schreibe ein Buch über die Union und benötige Hilfe bei den Recherchen. Ein bisschen erinnert mich das an Ihre Tätigkeit hier in Cruden Bay.«
Die Menschen redeten gern mit Schriftstellern, das wusste ich.
»Sie hielten ihn also nicht für einen Spion«, erklärte Dr. Weir. »Aber er gab alles, was sie ihm erzählten, an Harley in London weiter. Defoe hatte eine schnelle Auffassungsgabe, war ein guter Beobachter und ein ausgezeichneter Manipulator. Sein Anteil an der Durchsetzung der Union ist unbestritten.«
»Wie gesagt: ein Wiesel«, wiederholte Elsie und stellte klappernd ihre Teetasse ab.
»Glauben Sie, dass er sich jemals in Slains aufgehalten hat?«, fragte ich.
»Defoe?« Der Arzt runzelte die Stirn. »Möglicherweise wusste er um die Pläne der Verschwörer, und bestimmt kannte er den Earl of Erroll, der häufig in Edinburgh war, aber ich weiß nichts davon, dass Defoe jemals nach Slains gekommen wäre. Allerdings gab es noch andere Spione, nicht nur in Schottland. Die Engländer interessierten sich sehr für das, was in Saint-Germain vor sich ging. Sie hatten ein ganzes Netzwerk von Agenten in Paris und Versailles und schickten sogar welche direkt nach Saint-Germain, normalerweise junge Frauen, die den Höflingen im Bett Informationen entlockten.«
»Die bewährte Methode«, lautete Elsies Kommentar, deren Laune sich ein wenig verbessert hatte, seit wir nicht mehr über Defoe sprachen.
»Und Slains …«, sagte Dr. Weir. »Ob sich nicht vielleicht doch der eine oder andere Spion in den hohen Norden verirrt hat, müsste ich nachlesen.«
Dann wandten wir uns anderen Themen zu, und am Ende blieb ich deutlich länger als geplant. Als ich mich von den Weirs verabschiedete, dämmerte es bereits. Wieder kreisten heiser rufende Saatkrähen über Castle Wood. Ich beschleunigte meine Schritte und bog beim Kilmarnock Arms in die Main Street ein, den Blick auf die verschwommen vor mir aufragende Silhouette der Dünen gerichtet.
Es war windig, und aus der Ferne hörte ich das Tosen der Wellen, die gegen das Ufer schlugen.
Ihr Rhythmus hatte eine hypnotisierende Wirkung auf mich. Den dunklen Pfad den Ward Hill hinauf setzte ich fast automatisch einen Fuß vor den anderen, während in meinem Kopf Wachträume kreisten. Auf diesem Weg lauerte etwas auf mich, das spürte ich. Plötzlich trat ich ins Nichts, besser gesagt in eine tiefe Furche unter dem dichten Gras, so dass ich das Gleichgewicht verlor und ins Rutschen geriet.
Instinktiv versuchte ich, mich irgendwo festzuhalten, während ich die steile, meerwärts gewandte Seite des Hügels hinunterschlitterte, bis ich in einem schiefen Zaun landete, der immerhin so stabil war, dass er meinen Sturz bremste.
Mein Knöchel schmerzte höllisch. Wie dumm von mir, dachte ich. Der Pfad war deutlich zu sehen, aber …
Jetzt wurde mir bewusst, dass ich an dieser Stelle nicht das erste Mal unaufmerksam gewesen war, doch bisher hatte sich immer jemand an meiner Seite befunden, der einen Sturz verhinderte.
Ich wagte einen Blick die Klippe hinunter und überlegte, welche Form sie im Jahr 1708 gehabt hatte. Konnte es sein, dass mein Körper sich an einen anderen Weg erinnerte, den Wind und Meer inzwischen abgetragen hatten?
Da entdeckte ich oben auf dem Pfad eine dunkle Gestalt und rief, so laut ich konnte.
»Du gütiger Himmel!«, stieß Stuart Keith hervor, kletterte leichtfüßig wie eine Bergziege den Hügel zu mir herunter und ging neben mir in die Hocke. »Was ist denn passiert?«
»Ich bin gestürzt«, erklärte ich, »und hab mir den Knöchel verstaucht, nichts Schlimmes. Aber ich brauche Hilfe.«
Er tastete stirnrunzelnd mein Fußgelenk ab. »Meinen Sie, er ist gebrochen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nur verdreht oder verstaucht.«
»Das sollte sich mal lieber ein Arzt
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