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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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in meins, dazu ein paar Platten, und spielte Tangos.»Anneli-Gedenk-Tangos«, spottete Joachim. Einmal kam Isabella. Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Teppich und hörte zu.
    »Was du dir anhörst«, sagte sie nach einer Weile.
    Ich wußte nicht, wie sie es meinte.
    Schriftstücke bedeckten den Tisch unter dem Kronleuchter. Die Angelegenheit schien festgefahren. Wir bekamen keine Schwierigkeiten, Herr Timm ließ sich nicht sehen. Joachim berichtete, der Verleih gäbe die Filme, die er haben wolle, nicht heraus. Marlene-Dietrich-Filme seien auf dem Index. Er wollte den »Blauen Engel« spielen. Beim Verleih hatten sie ihn ausgelacht. So mancher wolle das, hatten sie gesagt. Aus, vorbei. Sie könnten ihm eine Staffel Hans-Albers-Filme anbieten. »Bomben auf Monte Carlo«, »Der Greifer«, »Hans in allen Gassen«.
    Joachim nahm die Staffel. Das Kino war fast jeden Abend ausverkauft. Wir hörten die Leute bis ins Haus herüber johlen.
    »Ich rufe mal Lehmann an«, sagte Joachim.
    Aber Lehmann blieb unerreichbar. »Herr Lehmann ist verreist«, sagte die Sekretärin, ein Mädchen, das wir nicht kannten. Anscheinend hatte Lehmann die Sekretärin gewechselt.
    Wollte er nicht mit uns reden?
    Oder konnte er nicht?
    Joachim erzählte mir, daß Lehmann seine schützende Hand über die Schützenhaus-Lichtspiele gehalten habe, als wir auf Tonfilm umstellten, mit den günstigen Apparaten aus jener Werkstatt. »Die Verleihe legten Wert darauf, daß die Filme ausschließlich auf ihren Maschinen liefen«, sagte Joachim. »Lehmann hat durchgedrückt, daß ein kleiner Verleih, an dem er beteiligt war, uns attestierte, die Maschinen seien von dieser Firma. Wir hätten jede Menge Schwierigkeiten bekommen. Sie hätten die Projektoren abgeholt. Uns aus dem Verband geworfen.«
    »Besteht die Gefahr nicht wieder?« fragte ich. »Wenn keiner in die Partei eintritt? Was wird mit Sternchens Anteil?«
    Joachim legte seine Hand auf meine Schulter, eine seltene Geste. »Kack dir nicht in die Hosen, Kleiner«, sagte er.
    Tatsächlich erhielten wir einige Wochen später den Bescheid, daß die Vermögensverwaltung bereit sei, den Anteil Siegel auf einen der anderen Inhaber zu übertragen. Der Anteil sei mit zwanzigtausend Reichsmark bewertet worden.
    »Zwanzigtausend Reichsmark«, brüllte mein Vater. »Dafür kann ich ein ganzes Lichtspieltheater kaufen.«
    Tante Deli meinte: »Für Parteigenossen machen sie es billiger.«
    Mein Vater wollte auffahren, aber er sah, daß Tante Deli lachte.
    »Hast recht«, sagte mein Vater. »Ich gehe zur Bank. Ich glaube, in Zukunft ist es besser, wenn wir Schulden haben. Jetzt muß ich mich ein bißchen hinlegen.«

16
    Als das Boot mit dem Sarg, in dem Großmutter lag, vom Steg abstieß, flogen fünf wilde Schwäne auf. Die Füße der schweren Vögel zogen Spuren über den Wasserspiegel. Der Morgennebel hob sich, ihr Gefieder schimmerte weiß vor einem goldenen Rosa, das die Morgensonne im Osten über den Schilfgürtel legte.
    Anneli und ich saßen im zweiten Boot, als einzige Passagiere. Das Boot trug die Last der Blumen und Kränze. Das Beerdigungsinstitut hatte den Ruderer gestellt.
    Wir ließen dem ersten Boot einen Vorsprung. Es war ein breites, flaches Boot, wie sie es auf dem Rhin und den Gräben für den Torftransport benutzten. Neben dem Sarg, der von einem schwarzen, mit silbernen Fransen versehenen Tuch bedeckt war, kauerten die Sargträger in ihren düsteren Uniformen. Einer hatte die Mütze abgenommen, und durch sein schütteres Haar spiegelte die Kopfhaut das Rosa dieses Morgens wider.
    Hinter uns folgten die anderen Boote, im nächsten saßen Großvater und Joachim nebeneinander, ihre Ähnlichkeit fiel wiederum auf.
    »Herzversagen«, hatte der Arzt konstatiert, der von Neuruppin herübergekommen war. Großvaters Stimme schallte aus dem Telefon, überlaut, wie das Mißtrauen in diese Einrichtung es ihm eingab. Neumodisches Zeug blieb das für ihn wie Autos, Flugapparate und Radios. Wir hatten Ede Kaiser gerufen und waren, nach hastigem Anlegen dunkler Kleider, nach Lindow aufgebrochen.
    »Ich verstehe es immer noch nicht«, hatte Großvater gesagt. Er saß auf der Veranda an dem langen Tisch, der uns früher zu fröhlichem Mahl vereint gesehen hatte. Die Hände stützte er auf die Seitenlehnen des Stuhls, in dem Oma immer gesessen hatte. »Ich verstehe es nicht«, wiederholte er. »Sie war fröhlich, noch am Abend, wie immer. ›Dann will ich man zu Bett gehen‹,hat sie gesagt. Und am

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