Das Schützenhaus
Wischlappen. Nimm die Kartoffeln vom Feuer. Und dämpfen, immer vergißt du, daß die Kartoffeln gedämpft werden müssen!«
Der Sachwalter hieß Herr Timm. Zuerst kam er in Zivil, das Parteiabzeichen am Revers seines schlechtsitzenden Anzugs. Später kam er in Parteiuniform. Herr Timm trug seine Haare kurzgeschnitten, Hindenburgbürste. Oberflächlich gesehen hätte man behaupten können, er habe einen Stiernacken. Doch sah bei Herrn Timm der Stiernacken wie eine körperliche Mißbildung aus, die ihn zwang, den Kopf vorzustrecken.
Herr Timm sagte, er komme von der Reichsfilmkammer, genaugenommen vom Reichsverband der Filmtheaterbesitzer. Die Lichtspieltheater, führte er aus, hätten von nun an dem Nutzen des Volkes zu dienen. Er würde sich freuen, wenn die zuständigen Herren oder Damen ihm die Programmplanung vorlegen würden, den Spielplan. Dies sei keine Vorschrift, jedoch erwünscht. Ob er mit Herrn Pommrehnke spreche?
»So ist es«, sagte mein Vater.
Der Sachwalter wies darauf hin, daß anscheinend zwei Herren Pommrehnke – Vater und Sohn vielleicht?
»Mein Sohn ist nicht da«, sagte mein Vater. »Jedenfalls nicht mein Sohn Joachim, der mit dem Kino zu tun hat.«
»Schade. Ich komme wieder. Heil Hitler.«
Herr Timm kam oft, lernte Joachim kennen, sagte, er freue sich, daß ein junger Mensch das Theater mitleite.
»Sie meinen diese Flohkiste?« f ragte Joachim rüde.
Herr Timm errötete. »Das können Sie nicht sagen«, betonte er. »Vorstadtkinos sind wichtig. Sie haben ihre nationale Aufgabe zu erfüllen, genau wie die Filmpaläste in der Stadt. Dr. Goebbels, unser Reichsminister für Propaganda und Volksaufklärung, hat Richtlinien erlassen. Nun, das wird Ihnen alles schriftlich zugestellt. Auf gute Zusammenarbeit!«
Herr Timm hob sein Bierglas. Niemand machte mit.
Herr Timm entdeckte allerlei. Daß wir weiter russische Filme spielten, die Zeit sei vorbei. Er verstünde, daß damals russische Filme interessant gewesen seien, ja, die Filmkunst. Man wußte es nicht besser. Jetzt, im Rahmen der Gleichschaltung, fiele einiges unter den Tisch. »Fremdes Gedankengut«, rief Herr Timm und errötete wieder ein bißchen.
Später, als er bereits die Goldfasanuniform trug, mit mächtigen Schulterstücken, die auf einen höheren Dienstgrad in der Parteihierarchie hinwiesen, meinte er, es wäre schön, wenn er den zuständigen Herren der Filmkammer die arischen Nachweise der Besitzer vorlegen könne. »Mißverstehen Sie mich nicht«, rief Herr Timm, unser Sachwalter. »Alles geschieht freiwillig oder fast freiwillig. Wir können jedoch nicht dulden, daß fremdes Volksgut sich einschleicht, an so wichtigen Schlüsselstellungen, wie es die Lichtspieltheater nun einmal sind. Wir geben uns damit zufrieden, wenn Sie die Geburtsurkunden der Eltern und Großeltern beibringen. Ich bin sicher, wir werden keine Schwierigkeiten miteinander bekommen. Lassen Sie sich Zeit.«
Wir sahen uns an wie Kaninchen, wenn der Iltis vorbeistreicht.
»Was soll der Quatsch?« fragte mein Vater.
Tante Deli beruhigte ihn: »Sie verlangen das von allen. Oder von fast allen. Das ist nun einmal nicht anders. Sie verteilen Familienstammbücher. Später, wenn alles feststeht und eingetragen ist, legt man das Buch vor und basta. Ganz einfach, oder?«
»Ich habe«, sagte unser Vater, »als Leibgarde-Husar gedient. Diese Parteiköppe werden doch nicht annehmen, daß ich, daßich…«, er suchte nach Worten, »daß ich nichtarischen Geblüts bin?«
»Gewiß nicht«, sagte Tante Deli. »Doch wer hat früher danach gefragt? Es könnte sein, daß die Tatsache, als Husar gedient zu haben, den Leuten nicht ausreicht.«
Wir wußten, daß Großmutters Familie aus dem früheren »Korridor« stammte. Der frühere »Korridor« war polnisch. Man mußte die Anträge auf Ausstellung von Geburtsurkunden beim Standesamt Berlin-Mitte einreichen, von dort wurden die Unterlagen an die polnischen Behörden weitergeleitet.
Wir berichteten Herrn Timm. »Das kommt vor«, sagte Herr Timm. »Wir haben Geduld.«
Eines Tages schien seine Geduld gefährdet. Er verlangte die Unterlagen. Wir erklärten ihm, daß sie aus den nun polnischen Gebieten noch nicht eingetroffen seien, alles andere jedoch hätten wir beisammen.
»Kümmern Sie sich drum. Ich komme wieder«, sagte Herr Timm. Schließlich, mein Vater und Joachim waren mehrfach zum Standesamt Berlin-Mitte gefahren, präsentierten wir ihm die Urkunden.
»Prächtig«, sagte Sachwalter Timm. »Keine Probleme.
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