Das Schützenhaus
macht die da?« fragte ich. »Ist das …« Ich fand das Wort nicht, poussieren schien mir auf einmal nicht ausreichend. »Hat Vati es …ich denke, er hat nur mit unserer Mutter …«
Joachim tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn. »Ganz schön naiv«, sagte er. »Das mußt du schon selber rausfinden, Kleiner.«
5
Tante Deli stand wieder im Türrahmen wie damals in der alten Wohnung, nur diesmal in der Tür zwischen der Anrichte und der Gaststube. Außerordentliche Anlässe hatten sie zu ihrer alten Gewohnheit zurückgeführt, zum Wechseln des Spiel- und Standbeins, zum Monologisieren.
»Wir können uns das nicht leisten«, sagte sie zu meinem Vater. »Die Papiermark ist nichts wert, fast alle Menschen leiden Not außer den Schiebern und Haifischen wie Stinnes, und du willst in die Ferien fahren. Machst du dir klar, daß die Molle fast zweihunderttausend Mark kostet? Wenn wir eine Woche zu deinen Eltern fahren, kostet sie danach vielleicht eine Million. Oder wenigstens eine halbe, ich will nicht übertreiben. In dieser Zeit kannst du kein neues Bier einlagern, ganz abgesehen von der Frage, ob dir die Brauerei dann noch Kredit einräumt. Was von den Häusern an Mieten kommt, mußt du mit dem Waschkorb abholen.«
Sie wechselte wie erwartet Stand- und Spielbein, wir sahen ihr zu, eine Familien-Vollversammlung fand statt an jenem Sonntagmorgen. Einem Sonntag wie jeder andere, so schien es, aber wir befanden uns mitten in der Inflation. Das Thema Geld beherrschte die Gespräche, nicht nur bei uns. Ausgerechnet in dieser »schweren Zeit«, wie alle Erwachsenen sagten, hatte mein Vater uns mit dem Vorschlag überrascht, daß wir zu Oma und Opa an den Gudelacksee fahren sollten.
So charmant wie früher sah Tante Deli nicht mehr aus, wie sie da im Türrahmen stand und ihre entblößten, kräftig gewordenen Arme unter dem gleichfalls kräftig gewordenen Busen verschränkte. Ich dachte an den rückwärtigen Anblick in jener Nacht, machte mir also ein vollständiges Bild von ihr.
Tante Deli setzte ihre Tirade fort: »Ich leiste mir nicht mal einen Büstenhalter, und du willst verreisen. Wer soll die Wirtschaft führen? Und dann die Kosten. Du, ich, drei Kinder. Werweiß. Vielleicht sind wir nicht einmal willkommen. Deine Eltern werden knapsen, seit die Papiermark nichts mehr wert ist. Jeden Tag wird sie weniger Wert. Du weißt genau, daß die Molle … ach, das sagte ich bereits. Ich spare überall, und du willst wie Graf Koks durch die Welt zockeln. Ich weiß, dein Bruder Rudolph ist aus der Fremdenlegion zurück. Na. Andere kommen auch aus der Fremdenlegion. Oder von weiß ich, woher. Guck dir Ede Kaiser an. Sein Bruder ist aus dem Korridor gekommen. Was, sein Bruder. Die ganze Blase. Sie sitzen bei ihm im Garten, und er kann das Geld verdienen. Dein Regimentskamerad. Drei Taxen und einen Privatmietwagen, und trotzdem reicht’s nicht. Nur sein Schwager, der Hubert, der ist Bierkutscher geworden. Verdient auf anständige Weise sein Geld. Und dein Bruder Rudi? Kommt aus der Fremdenlegion, quartiert sich bei den Eltern ein und läßt den lieben Gott einen guten Mann sein. Dann pfeift er, und du schnallst dir die Gamaschen um und peest los.«
»Er ist krank«, sagte mein Vater, der sich geduldig Tante Delis Rede angehört hatte. »Er hat nur noch einen Lungenflügel. Sie haben ihn entlassen.«
»Fahren wir?« schrie Anneli, obwohl es doch gar nicht ihre Großeltern und ihr Onkel waren, die wir besuchen wollten.
»Ich nehme meine Puppen mit.«
»Halt die Klappe«, sagte Tante Deli und fixierte ihre Tochter. Dann beschäftigte sie sich wieder mit unserem Vater: »Also, wie stellst du dir das nun vor?«
»Sternchen schmeißt den Laden. Außerdem spreche ich mit Ede.«
»Mit Ede Kaiser?«
»Wir mieten ihn. Mitsamt seinem Privatwagen.«
»Ach, du grüne Neune! Jetzt wird er größenwahnsinnig.« Tante Deli warf Blicke zur Decke, an der aber nichts zu sehen war außer aber Hunderten von Fliegendreckpunkten.
Mein Vater strich den Schaum von einem Bierglas, das unter dem Zapfhahn stand und sich langsam füllte. »Laß mich das deichseln«, sagte er. Tante Deli brummte irgend etwas, drehte sich um, ging in die Küche und warf die Tür hinter sich zu. UnserVater blickte zu uns herüber. »Wir machen Ferien«, sagte er. »Das steht fest.«
Wir rannten die Verandatreppe hinunter. Unter den alten Bäumen blieb Joachim stehen. »Halt«, sagte er. »Manchmal tut es mir leid, daß wir kein Baumhaus gebaut haben. So, wie
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