Das Schützenhaus
nicht gefilmt.«
»Warum nicht?« fragte Anneli.
»Weil eine Kamera schwer ist, man hat sie nicht immer dabei.«
Auf der Leinwand erhob sich der Bär, blieb auf den Hinterpfoten stehen, aber er tanzte nicht. »Das ist gar kein Tanzbär«, flüsterte Laura. Tante Frieda zischte: »Ruhe. Sonst kriegste eine geschwalbt.«
Onkel Rudolph fuhr fort: »Der Bär tat mir leid. Er hatte eine Wunde am Hals von der Kette. Auf der Wunde saßen die Fliegen. Ich fragte den Mann, ob er den Bär verkaufe. Der Mann überlegte. Dann nannte er einen Preis. Einen ziemlich hohen Preis. Ich habe nicht mit ihm gehandelt, habe bezahlt«, sagte Onkel Rudolph stolz.
Der Bär schaute jetzt in die Kamera. Die Kamera war nähergerückt oder der Bär. Man sah nur den Kopf. Der Bär zwinkerte mit einem Auge. Wir lachten.
»Der Mann mit der Flöte«, sagte Onkel Rudolph, »drückte mir die Kette in die Hand. Der Bär ging hinter mir her. Es tat mir leid, daß er diese Wunde hatte, aber ich konnte ihn ja nicht ohne Kette laufen lassen.«
»Wieso nicht?« fragte Laura. »Klöterlämmchen läuft auch ohne Leine. Und Zeppelin.«
»Aber nicht der Hofhund«, sagte Onkel Rudolph. »Hofhunde und Bären sind gefährlich, klar? Als ich aus der Stadt raus war, zog ich mir die Unterhose aus und schob sie dem Bären über die Wunde. Da guckte er genauso wie eben im Film. Er zwinkerte mir zu, und ich wußte, wir werden Freunde.«
Opa fragte: »Warum hast du dir nicht das Hemd ausgezogen?«
»Wegen Sonnenbrand«, sagte Onkel Rudolph.
Die Spule war zu Ende, eben lief das unbelichtete Ende durch. Wir gingen wieder hinaus auf die Veranda, es sollte Blaubeeren geben.
»Dick und Doof wären mir lieber gewesen«, flüsterte Joachim. Ich antwortete nicht. In diesen Ferien mochte ich überhaupt keinen Kintopp.
Nachts schlichen wir Kinder aus dem Haus und schwammen im Gudelacksee. Der Mond, eine kraftige Sichel, die viel Licht verströmte, lag auf dem Rücken über dem Horizont und stieg schnell höher. Wenn wir das Wasser mit den Armen zerteilten, blinkten die Wellen silbern. Vor uns lag fast schwarz die Insel mit ihrem Ziegelschornstein, der in den Himmel ragte. Es sah aus, als habe die Insel einen Griff, einen für Riesen. Der Riese würde kommen und die Insel an diesem Griff aus dem Wasser heben. Es würde eine Flutwelle geben, die uns verschlang.
Einmal, als wir zurück in unsere Zimmer tappten, hörte ich aus einem der Schlafzimmer die Stimme von Tante Deli: »Ich wünschte, du wärest wieder Oppusoff.«
»Oblomow«, brummte mein Vater.
Es roch nach Zigarre.
Viel zu früh fuhr Ede Kaiser mit seinem Chevrolet vor. Die Ferientage bei Oma und Opa waren zu Ende. Sie standen alle am Zaun, Großvater, Großmutter, Laura, Tante Frieda, Onkel Rudolph und Klöterlämmchen. Sie winkten, und Laura rief: »Gute Reise!«
»Ach, ihr«, sagte Großmutter und verschränkte die Arme unter ihren Brüsten.
6
Seit kurzem beschäftigten wir im Schützenhaus einen älteren Kellner mit Namen Krause. Da er einen Bart trug wie Robinson auf einer Abbildung in dem Buch mit Robinsons – des echten – Geschichten, nannten wir ihn Robinson Krause.
Robinson Krause wußte alles besser als Tante Deli. Bald galt er, den alle Herr Ober oder einfach Robinson Krause riefen, als Born der Weisheit. Jeder wendete sich an ihn, nicht nur wir, auch die Stammkunden. Dazu kloppte er Sprüche, gratis und franko, wie Joachim kommentierte: »Robinson Krause quasselt, bis er Fusseln an den Lippen kriegt. Und das gratis und franko.«
Spielte Werner Spiehr seine Schlagermelodien am Klavier im kleinen Saal, servierte Robinson Krause ihm ungefragt eine Molle: »Noch ’n Bier für Herrn Spiehr am Klavier«, rief er und kredenzte das schaumgekrönte Glas mit eleganter Gebärde. Radke verlangte die Speisekarte. »Heute jibt et Schweinebraten – für die neuen Demokraten«, reimte Robinson.
»Selber Demokrat«, giftete Radke, mit einem Blick, der später Peter Lorre in dem Film »M« berühmt machen sollte.
Frau Radke, die ihr Innenleben bereits mit ein paar Eierlikörchen stabilisiert hatte, legte die Hand auf den Arm ihres Mannes und sagte: »Laß’n doch. Er ist einfach süß.«
»Mach dein’n U-Bahn-Tunnel zu«, sagte Radke und scheuerte vorsichtshalber Lieschen eine, die mit uns hereingekommen war.
Lieschen war jetzt groß, mit Brustansatz, und ich glaube, Werner Spiehr hatte was mit ihr. Jedenfalls spazierten die beiden manchmal gemeinsam zum Schützenhaus, auch wenn die ollen Radkes
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