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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Absätze. Trotzdem war sie immer noch mehr wie ein Junge.
    Werner Spiehr saß nebenan oft bei offener Tür und klimperte auf dem Klavier: »Salome – schönste Blume des Morgenlands«. Oder »Hallo, du süße Klingelfee«. Er kannte alle Texte und sang dazu. Die Gäste mochten das. Manchmal spielten die Männer Skat, »um Pfennige«, wie sie das nannten, aber ein Pfennig war zigtausend Mark, und die Scheine lagen in Stapeln auf dem Tisch. So ging es bis November, da kam die Rentenmark. Bis dahin mußte Robinson Krause allerdings noch etliche Bierchen servieren. »Ober, noch ’ne Molle«, war der meistgesprochene Satz in unserer Gaststube.
    Die Frauen mochten Berliner Weiße mit Schuß. Wir hatten große und kleine Weißbiergläser. Die Frauen wollten die kleinen. »Und einen Strohhalm, Herr Ober.« Robinson, in seiner weißen Jacke, brachte Strohhalme und öffnete die Papierhüllen mit einem Trick. Die Hülle blieb am oberen Ende, leicht abgeknickt, haften. »Früher hatten wir sojar Zweiliterjläser«, kramte Robinson in seinen Erinnerungen. »Vier oder fünf Leute am Tisch teilten sich eine Weiße. Sie machten mit dem Daumen Zeichen am Rand, einer jrade, einer ein bißchen, der andere janz schräg, da wußten sie, wo sie jetrunken hatten. So ähnlich wie die Türken mit der Wasserpfeife, mehrere Mundstücke.«
    »Woher wissen Sie denn wat von Wasserpfeifen?« fragte Hubert, der sein Baby schaukelte, daß dem fast der Kopf abfiel.
    »Ick war im Krieg uff’m Balkan«, sagte Robinson.
    Und Huberts Frau rief: »Paß auf, das Kind!«
    Das Kind, Klein-Mathilde, mochte es, wenn Hubert sie wild schaukelte.
    Eines Abends kam das Gespräch auf den Kintopp. Werner Spiehr, die Knollennase von etlichen Mollen gerötet, sagte: »Den Joachim, den verstehe ich. Wo die Filmkunst solchen Aufschwung nimmt, sollte man sich beeilen. Warum machen wir kein Kino im großen Saal?«
    »Weil wir«, sagte mein Vater, »den großen Saal brauchen.«
    »Moment«, mischte Sternchen Siegel sich ein, »gerade herausgefragt: Was war los im großen Saal im letzten Jahr? Nebbisch, e paar Hochzeiten, einmal Schützenfest, ziemlich lahm, darf ich mir erlauben, und das Kinderfest. Bitte gefälligst. Is das e Auslastung?«
    Joachim hatte seinen Stuhl näher an den Tisch gerückt. Er rieb sich die Augen unter der Brille, sagte aber nichts.
    Tante Deli rief: »Untersteht euch. Wer soll das betreiben? Der Junge?« Sie deutete auf Joachim: »Der Junge ist minderjährig. Ich muß mit ansehen, wie er Filme vorführt, die nicht jugendfrei sind, oder?«
    »Moment«, sagte Werner Spiehr. »Wir können das deichseln. Offiziell wird Sternchen Vorführer oder ich. Besser Sternchen, ich mach’ Musik und erkläre.«
    »Und die Apparate? Wer kauft die Apparate? Man muß richtige Apparate haben, oder irre ich mich?«
    »Projektoren«, murmelte Joachim, aber niemand hörte auf ihn.
    Werner Spiehr sagte, er kenne einen Kinobesitzer in der Innenstadt, mit einer billigen Klitsche. Der Mann wolle aufgeben. »Er verkauft die Apparate«, sagte Werner, »und die Einrichtung. Stuhlreihen, die Projektionsleinwand. Der Ramsch ist billig zu haben. Zum Teil Devisen, zum Teil Papiermark.«
    »Devisen«, zürnte Tante Deli. »Höre ich richtig? Wer hat Devisen?«
    Sie stand auf und schüttelte den Rock, was ihre blassen Beine enthüllte. »Vielleicht fallen mir Dollars aus den Falten? Vielleicht steht ein Goldesel im Stall? Dazu ein Lastwagen Papiermark. Hier –« sie griff einen Schein, der vom Kartenspielen auf dem Tisch lag –, »wißt ihr, was der wert ist? Eine Molle und einen Korn. Oder einen Kümmel, nach Wahl. Für einen Eierlikör reicht’s nicht mehr, der ist teurer. Nee, Jungs, det schlagt euch aus dem Kopp.«
    »Moment«, sagte mein Vater. »Nimmt er Goldmark?«
    Werner lachte. »Noch besser«, sagte er.
    »Bongforzionös«, sagte Tante Deli. »Wir schmeißen mit Goldmark um uns.«
    Mein Vater sagte: »Joachim, was denkst du?«
    »Ich weiß nicht, woher ihr die Kröten nehmen wollt.« Sein Gesicht war rot. »Aber die Idee ist gut. Der Kinobesitzer in der Stadt gibt auf. Logisch, in der Nähe gibt es die Filmpaläste. Fünfzehnhundert Plätze. Aber hier draußen! Die Leute wollen nicht immer nach Berlin fahren, um einen Film zu sehen.«
    Er sagte »nach Berlin fahren«, wie alle Leute in den Vororten.
    »Wer’s glaubt«, sagte Tante Deli.
    Mein Vater brummte: »Laß ihn mal quasseln.«
    Joachim fuhr fort: »Wir fangen mit Matinees an, für die Familie. Ich meine

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