Das Schützenhaus
nicht mit von der Partie waren. Von Robinson wurde Lieschen zuvorkommend behandelt. »Det junge Glück steht auf Ihrem Jesicht geschrieben«, sagte er. Nie nahm er Geld von ihr, setzte alles den alten Radkes auf die Rechnung. Da diemeistens erst zahlten, wenn sie duhn waren, merkten sie es nicht.
Um den Stammtisch versammelte sich, was unser Vater »seine Freunde« nannte. Hubert, der Bierfahrer, brachte, wenn er frei hatte, seine Frau mit, die stammte auch aus Westpreußen. Sie schob einen Kinderwagen, in dem lag Mathilde. Manchmal nahm Hubert sie aus dem Kinderwagen und setzte sie auf seine Knie, auf die braunen Manchesterhosen, die alle Bierfahrer trugen. Dann mußten die anderen am Tisch sagen, wie hübsch Mathilde sei. Sie war aber nicht hübsch, hatte kaum Haare auf dem Kopf. Und eine Knollennase wie Sternchens Freund Werner.
Joachim sagte, Hubert habe noch einen älteren Sohn, aber von einer anderen Frau.
Ede Kaisers Verlobte, ein dralles, brünettes Mädchen namens Minnamartha, war die Schwester von Huberts Frau, also auch aus Westpreußen. Sternbild Steinbock, Ede sagte, Steinböcke können gut rechnen, mit solchen Menschen kommt man zu was. Minnamartha machte ihm die Buchhaltung. Hatte angeregt, daß er sich die Taxen kaufte und den Mietwagen, alles auf Kredit. Erst wollte Ede nicht, »Minnamartha treibt mir in den Abjrund«, sagte er zu seiner Verlobten gewendet, aber er schielte zu den anderen rüber und lachte. »Oller Schafskopp«, sagte Minnamartha, und es klang zärtlich. Für solche Nuancen hatte ich auf einmal Sinn.
Minnamartha trank Weiße mit Schuß. Robinson servierte das Glas mit unnachahmlicher Grandezza. Ede sagte, er habe das zuerst nicht machen wollen mit den Taxen, aber Motortaxe war modern, Pferdedroschken fuhren immer weniger. Es herrschte Krieg zwischen den Chauffeuren und den Kutschern, sie machten sich die Standplätze streitig, und der Magistrat mußte das neu regeln. Jetzt, wo wir Groß-Berlin waren, gab es Fuhren weit nach draußen in die neuen Vororte. Das konnten die Pferdedroschken nicht bewältigen. »Es soll«, sagte Minnamartha, »viel Elend gegeben haben.«
Tante Deli sagte, Ede solle erzählen, wie sie ihm Pferdeäppel… Ede sagte, es sei so schlimm nicht gewesen. Einmalhätten sie ihm frische Pferdeäppel auf den Kühler gelegt, als er nur mal schnell austreten war, am Stettiner Bahnhof. Er wußte auch, wer das gemacht hatte. Zum Kutscher mit einer ganz mickrigen Kracke vor der Droschke habe er gesagt: »Der Gaul hat aber schöne Knochen. Wie wär’s denn, wenn Sie ihm auch ’n bißchen Fleisch anziehen würden?«
»Deswegen keine Feindschaft nicht«, sagte Ede. Abschließend schluckte er einen Kümmel, und Minnamartha sagte, er solle nicht so viel saufen, der Kümmel koste hunderttausend Mark und sei so ’n olles Ersatzzeug.
»Na, hören Se mal«, sagte mein Vater.
Minnamartha, Steinbock, hatte auch die Idee, daß man Kredite mit schlechtem Papiergeld zurückzahlen könnte. Ich glaube, mein Vater griff die Idee auf und zahlte die Hypotheken zurück, die auf seinen Häusern lasteten. Es kamen damals eine Menge Leute auf diesen Gedanken. Inflationsgewinnler nannte man sie. Uns hätte man genauso genannt, wenn es jemand herausbekommen hätte. Nachher wurde, meine ich, ein Gesetz erlassen, und es ging nicht mehr. Aber das meiste war bezahlt, und als die Rentenmark kam, lieh mein Vater seinem Regimentskameraden »gutes Geld«. Ede konnte den Rest zurückzahlen.
Aber das geschah später, als Ede und Minnamartha geheiratet hatten, im Schützenhaus. Sie bekamen einen Sohn, den sie Karl nannten. Karl Kaiser. Mit solchem Namen mußte der Sohn herumlaufen.
Manchmal kam Papa Warnicke, der hatte ein Schützenhaus in einem anderen Vorort, ähnlich wie unseres gelegen, weit draußen am Stadtrand. Papa Warnicke war auch ein Regimentskamerad, aber schon Reserve 1904, darum nannten sie ihn Papa, obwohl er noch jung war. Er kam immer an seinem freien Tag und brachte seine Bedienung Lydia mit, die hatte Zähne mit viel Metall im Mund. Tante Deli sagte: »Mit der hat Papa Warnicke ein Verhältnis.« Ausgerechnet Tante Deli. Hatte sie etwa mit unserem Vater kein Verhältnis?
Allmählich wußte ich Bescheid. Ich wußte auch über die Mädchen Bescheid, jedenfalls theoretisch. Beobachtete Anneli,wie sie sich entwickelte. Anneli war ein anderer Typ als Lieschen Radke. Bei Anneli sah man noch nichts von Busen. Sie bekam lange Beine, trug Wadenstrümpfe und manchmal schon hohe
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