Das Schützenhaus
bereiteten.
Laura bestimmte auch, daß die Puppen zweimal täglich gewickelt wurden. »Sièhste nich? Die sind naß. Und Kacke is ooch in den Windeln«, behauptete sie. Anneli machte ein durchaus ernstes Gesicht und rümpfte das Näschen, wenn sie die Windel ihrer Schlafaugenpuppe öffnete. In der Küche kochten die beiden Brei aus Haferflocken. Großmutter kam dazu, sah die Schweinerei, die sie angerichtet hatten, und lachte, daß ihr Riesenbusen wackelte. »Ach, ihr«, sagte sie. Das kannten wir schon von unserem Vater.
Wir hatten den Eindruck, daß Großmutter selten nach dem Rechten sah, sondern meistens auf der Terrasse vor der Glasveranda im Korbsessel thronte. Von da aus konnte sie in den Gemüsegarten hinüberspähen, wo Großvater sich gemächlich hackend zwischen Kohlpflanzen und noch winzigen Teltower Rübchen bewegte. Seine Hacke besaß einen enorm langen Stiel, denn er bückte sich nicht gern.
Tatsächlich aber brachte Großmutter, mit Hilfe von Tante Deli, drei Mahlzeiten täglich auf den Tisch. Reichliche Mahlzeiten, trotz der schlechten Zeiten, die in der Runde der Erwachsenen dauernd erwähnt wurden, manchmal waren es sogar lausige Zeiten. Diese Mahlzeiten reicherten die Frauen durch Verwendung der Fische und Krebse an, die Onkel Rudolph aus dem See zog, und mit Gemüse aus Opas Garten.
Lauras Mutter half selten. Lauras Mutter war vor allen Dingen schon. Wir Kinder wurden derart oft darauf aufmerksam gemacht, daß wir es schließlich einsahen. Joachim meinte, sie sei ebenso schön wie Hannelore aus der Eis-Anneliese, aber anders.
Lauras Mutter schritt im Strandanzug, Illustrierte unter dem Arm, eine Zigarette aus langer Spitze rauchend, zu einer Hängematte, die Opa ihr zwischen zwei Apfelbäumen gespannt hatte. Sie bettete sich in diese Hängematte, baumelte mit einem Bein. Das wie bei einer Matrosenhose ausgestellte Hosenbein flatterte. Sie las »Uhu« oder »Die Dame«, manchmal die »BerlinerHausfrau« – die hatte Oma abonniert. Auf dem gelackten Bubikopf von Lauras Mutter spiegelte die Sonne.
»Tante Frieda liest wieder«, brummte Onkel Rudolph. Mit seiner Krebsreuse zog er ab, hinunter zum See, blaue Wölkchen paffend, obwohl, wie ihm jeder mitteilte, Zigaretten seiner Lunge schadeten. Onkel Rudolph rauchte Kette.
Schon glaubte ich, daß in Lindow das Thema Kintopp ausgeklammert sei. Selbst Joachim schien vergessen zu haben, was er im Schützenhaus, nach seiner Art ein bißchen hochtrabend, »seine einzige Leidenschaft« nannte. Da sagte eines Abends Onkel Rudolph: »Wollt ihr Filme sehen?«
Alle redeten durcheinander, sagten »Vielleicht« und »Warum nicht?« und »Besser morgen, oder?«. Nur Joachim war Feuer und Flamme, jedenfalls bemerkte die Großmutter: »Der Bengel ist ja Feuer und Flamme.«
Wenig später saßen wir im verdunkelten Zimmer vor einem Bettlaken als Leinwand. Onkel Rudolph kurbelte an einem bemitleidenswert primitiven Projektor und zeigte uns, was er an Filmen aus Afrika mitgebracht hatte. Wir sahen unseren Onkel in voller Fremdenlegionsuniform, auf einem Kamel trabend. Wir sahen Araber, die ebenfalls auf Kamelen trabten und Flinten in die Luft warfen. Dann ein Wüstenfort mit Zinnen, vor dem Männer angetreten waren, die genauso aussahen wie Onkel Rudolph. Vor den Legionären ritt ein Mann auf einem Pferd auf und ab, wahrscheinlich ein Offizier, ich erinnere mich kaum an Onkel Rudolphs Erklärungen, was diese Streifen anbetrifft. Endlich kam eine ziemlich unterbelichtete Rolle, da war eine Frau zu sehen, die mit dem Bauch wackelte. »Rudi, das ist nichts für Kinder«, rügte Großmutter. Opa lachte.
Onkel Rudolph machte Licht an und nahm die Rolle heraus. Elektrisch hatten sie in diesem alten Haus erst seit einigen Wochen, die Petroleumfunzeln, mit denen das Haus vorher beleuchtet worden war, standen noch überall herum. Ich hatte Oma gefragt, wozu sie so viele Petroleumlampen brauche. Da hatte sie mir das mit der Elektrizität erklärt. In Berlin hatte ich in manchen Wohnungen zwar noch Gasbeleuchtung gesehen.Doch hatte ich nie gedacht, daß Elektrizität eine neue Errungenschaft sei.
Die Rolle, die dann lief, interessierte uns. Auf der Leinwand führte Onkel Rudolph einen Bären an einer Kette hinter sich her. Onkel Rudolph berichtete im Stil eines Rundfunkreporters: »Dies, meine Herrschaften, ist ein Tanzbär. Der Bär trat öffentlich auf. Sein Besitzer blies auf der Flöte, und der Bär tanzte. Danach sammelte der Mann Geld ein. Leider habe ich das
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