Das Schützenhaus
angeschafft.« Oder nur das Wort: »Größenwahn.«
Von meinem Vater verstanden wir nur einen Satz: »Eskadron – marsch!«
Hieß das, er würde sich die Projektoren ansehen? Oder schickte er nur Sternchen und Werner in den Keller, ein neues Faß anzapfen?
»Der Hund muß raus«, rief Tante Deli. Anneli rannte runter in die Gaststube. Wir folgten ihr.
Werner plinkerte uns zu. Er balancierte ein frisch gezapftes Bier auf dem Tablett und verschwand im kleinen Saal.
Mein Vater sagte zu Sternchen: »Sie hätten uns sehen sollen, wie der Dorfschmied lachte, als wir seiner Madame sagten, sie hätte im Garten eine Leiche vergraben, und dann buddelten wir an der Stelle, wo die Erde frisch war, und fanden fünfzig Flaschen Bordeaux. Vom Besten. Der Schmied soff sie mit uns aus. Die Madame rang die Hände, jeden Tag war sie bleicher. Die Korsettschnüre hingen ihr hinten herab. Nein, war das ein Feldzug!«
»Davon träumst du immer noch, oder?« fragte Tante Deli, und es klang verbittert.
Mein Vater lachte und wälzte den inzwischen erkalteten Zigarrenstummel im Mund hin und her.
Es geschah nichts. Wenn wir Werner oder Sternchen anhauten, zuckten sie die Achseln. »Niemand weiß nichts Gewisses nicht«, sagte allenfalls Werner.
Ein paar Tage später saßen wir am Mittagstisch und mummelten trockenen Schmorbraten mit Einheitssoße, an der Tante Deli schuld war. Von einer Seite kam mein Vater herein, von der anderen Werner. »Haste angerufen?« fragte mein Vater. »Allet jeritzt«, sagte Werner.
»Worauf wartet ihr?« sagte mein Vater. »Alles geritzt. Wir sehen uns die Projektoren an.« Joachim schob die Brille hoch.Seine Augen traten hervor wie bei einem Krebs. »Dürfen wir mitkommen?« fragte er.
»Du und Hansi. Anneli bleibt hier. Für die ist das nüscht.«
»Ich will mit«, rief Anneli.
»Halt die Klappe«, rief Tante Deli.
»Entweder ich komme mit«, kreischte Anneli, »oder ich pinkle auf eure Filmspulen. Die mit den Chaplin-Filmen …«
Tante Deli kam hinter dem Tresen hervor und scheuerte Anneli eine. Anneli heulte und trat mit den Füßen nach Tante Deli, die eine Art Polizeigriff anwendete. »Eskadron – marsch!« befahl mein Vater.
Draußen wartete Ede Kaiser mit seinem Privatmietwagen. »Vornehm geht die Welt zugrunde«, murmelte Werner, der noch schnell sein Bier ausgetrunken hatte und als letzter einstieg.
»Fünfmal S-Bahn hin und zurück kostet fast dasselbe«, wies unser Vater ihn zurecht. »Außerdem muß Ede was verdienen.«
Ede lachte und fing, wahrend er den Wagen lenkte, irgendeine Husarengeschichte an. Zwischen den beiden Reserveneunzehnhundertacht-Männern flogen die »Weißtenochs« hin und her.
Der Kintopp lag weit draußen in Schöneberg, fast schon Tempelhof. Ein umgebauter Gasthofsaal. Ein drahtiger Herr mit fast nacktem Schädel, dafür einem Walroßschnurrbart, empfing uns. »Komm’ Se hier ins Extrazimmer«, schlug er vor und führte uns in ein Kabuff hinter dem Kassenhäuschen. Da standen Klubsessel um einen Couchtisch und auf dem Couchtisch der olle klassische Diskuswerfer, nur daß er ein Feuerzeug war. Aus seinem Mund kam eine Flamme, wenn man den Stein strich. Dies machte uns sofort eine Dame vor, die in einem der Sessel saß oder vielmehr lag, die Beine in glänzenden Seidenstrümpfen übereinandergeschlagen. Sie hatte einen gelackten Bubikopf, ähnlich wie Lauras Mutter, und rauchte wie jene ihre Manoli-Zigarette – die Packung lag neben dem Diskuswerfer – aus einer superlangen Spitze.
Der kleine, kahle Herr erklärte: »Ich heiße Leberecht Lehmann,L.-L. jenannt. Dafür kannick nischt, det haben sich meine Eltern ausjedacht. Aber L.-L. – det is inzwischen ’n Markenname. Könn’ Se alle fragen in Kinokreisen. Nur eene andere Berufsorientierung zwingt mich … aber davon später. Bitte, setzen Se sich.«
Wir setzten uns in die Sessel, Joachim und ich nebeneinander in einen, auf die Vorderkante. Mein Vater biß die Spitze von einer Zigarre ab. Herr Lehmann, oder L.-L., hockte auf der Lehne eines Sessels wie ein Vogel, der von einem Ast auffliegen will. Die Dame schaute rundum und lächelte. Hin und wieder blies sie einen Rauchring.
»Ick habe noch nich bekannt jemacht«, fuhr L.-L. fort, »die Dame is Kitty van Delft. Natürlich ihr Künstlername. Mein Einfall. Eijentlich heißt se Käthe Mahnke.« Er tätschelte ihr Knie, und Kitty zog ihren Mund breit. Das konnte man für ein Lächeln halten oder auch nicht. »Folgendermaßen«, sagte Lehmann, »ist der
Weitere Kostenlose Bücher