Das Schützenhaus
Name entstanden. Kitty, damals Käthe, nur ick nannte ihr Kitty, also Kitty und ick flanieren uff’m Ku’damm. Da sieht se blauweiße Kacheln in ein’ Schaufenster von ein’ Jeschäft, wat sich uff flotte Kücheneinrichtungen spezealisiert hat. ›Guck mal‹, sagt se, ›die süßen blauweißen Kacheln. Segelschiffe und Mühlen. Woher mögen die kommen?‹ Ick sachte aus Holland, und det sind Delfter Kacheln, echt, und ob ick ihr ’ne Freude damit machen kann. ›Nee‹, sagt se, ›det Jelump fällt bloß runter, und denn is alletvoll Scherben.‹ Sie hat lieber wat Massivet, Jold mit Diamanten oder so.«
Kitty lächelte und wand sich in ihrem Fauteuil wie eine Schlange bei der Häutung, ich dachte, ich bin im Aquarium in der Budapester Straße, da wird Schlangenhäuten demonstriert, für Lehrzwecke.
Lehmann fragte, ob er uns langweile, wir versicherten, daß nicht, oder jedenfalls alle außer Joachim und mir und Kitty versicherten es ihm.
Kitty rammte sich eine neue Manoli in die Spitze, und Lehmann sagte:
»Kurz und jut, se wollte die Dinger nich haben. Aber tanzen,det wollte se. Und siedendheiß fiel mir ihr Künstlername ein: Kitty van Delft. Na, ist det nüscht?«
Mein Vater sagte: »Alle Achtung!«
L.-L. fügte hinzu: »Jetzt tanzt se im Winterjarten.«
»Da waren 1909 die ersten Filmvorführungen«, sagte Joachim, aber niemand hörte auf ihn.
Möglicherweise war das Stichwort aber in L.-L.s Unterbewußtsein gedrungen. Er ließ sich vom Ast beziehungsweise von der Stuhllehne fallen und rief: »Folgen Se mir!«
Wir drangen durch die offene Tür, durch die wir vorhin einen ersten Blick geworfen hatten, in den Saal, ließen Erklärungen über praktische, leicht demontierbare Klappsitzreihen über uns ergehen und verließen den Saal wieder durch eine Tür gegenüber der Leinwand. Eine Wendeltreppe führte in den Vorführraum. Da standen sie, die beiden Projektoren, die nun vielleicht uns zu echten Kinobesitzern machen würden. Ich drehte mich um, weil ich sehen wollte, was Kitty für ein Gesicht machte, aber sie war uns nicht gefolgt.
Die Projektoren sahen, im Vergleich zu unserem Heimkino-Apparat im kleinen Saal, gigantisch aus. »Das traust du dich?« flüsterte ich Joachim ins Ohr. Joachim nickte.
Sie verhandelten in dem Hinterzimmer, das sich mit Zigaretten- und Zigarrenrauch füllte. Lehmann kramte von einem Bord Wassergläser hervor und zog eine Sektflasche aus dem Papierkorb. »Darauf müssen wir anstoßen«, sagte L.-L.
Augenscheinlich waren sie sich einig geworden. Joachim rieb sich die Augen. Da ihn niemand nach seiner Meinung fragte, entwickelte er ein Blickwechselsystem mit Sternchen und Werner Spiehr, und die redeten in seinem Sinn.
Werner Spiehrs Nase glühte so rot wie die Lampe über der Tür, die zur eisernen Wendeltreppe führte.
7
Ich habe mich geirrt. Silbercondor über Feuerland – das war viel später. 1924 stieg der Junkers Metall-Eindecker G 24, 195 Ps, Zweihundert-PS-Motoren, zum ersten Mal auf. Ede Kaisers Sohn hat das neulich für mich herausgefunden, als wir in alten Fotoalben blätterten. Wir fanden viel über Fliegerei, einer von Karls Onkeln war Flugpionier, einer der ersten Piloten der Lufthansa.
Als wir unser Kino im großen Saal einrichteten, war Karl Kaiser, Edes Sohn, noch nicht geboren. Damals traten die drei Codonas auf, Alfred Codona vollführte als erster Mensch den dreifachen Salto von Trapez zu Trapez.
Vergessen? Worin liegt die Bedeutung unserer Geschichte? Einer Familie, die einen Schützenhaus-Betrieb und ein Flohkino zu ihrer, wie Joachim übertrieb, »Herzensangelegenheit« machte?
Die Rentenmark war da, niemand hatte Geld, alles wurde auf Kredit gekauft. Die Mieter in unseren Häusern blieben die Miete schuldig. Radke meinte, man müsse die Nationalsozialisten machen lassen, die würden Ordnung in die Bude bringen.
Sternchen Siegel kaufte sich einen Hanomag Kommißbrot, jenes winzige Auto mit offenem Dach, das vorne und hinten gleich aussah. Dazu eine neue Mütze, wieder mit Bommel. Den Schirm drehte er nach hinten, wenn er in seine Kiste kletterte.
Unsere Küchenhilfe hieß Lydia, wie Papa Warnickes Freundin. Eine Nichte von einem Regimentskameraden, wie vermutet. Lydia war mächtig und blaß, errötete leicht. Sie stammte aus Westpreußen, wurde deshalb von Edes Verlobter und deren Schwester – Bierfahrer Huberts Frau – gefördert. »Das arme Mädchen.«
Manchmal nahm Sternchen Siegel »das arme Mädchen« in seinem Hanomag mit, er
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