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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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öfter. Wir gewöhnten uns an ihn und seine Entflammungstabelle. Bald wußten wir, welchen Entflammungspunkt Roßhaarmatratzen, Schulbücher und Büstenhalter hatten.
    Puvogel strahlte Igelzutraulichkeit aus. Er war gelernter Tischler, bei der Feuerwehr brauchten alle einen gelernten Beruf. Lange, meinte er, würde er nicht bei der Feuerwehr bleiben. Er wollte heiraten und baute eine Laube in der Kolonie Tausendschön. Er wollte einen Kolonialwarenladen betreiben. »Wenn die da Petroleum brauchen, müssen sie bis zur S-Bahn rennen. Oder Persil. Oder Jagdwurst und Margarine. Das finden sie nun alles bei mir. Heringe im Faß. Wie finden Sie das?«
    »Apropos Heringe«, rief Tante Deli, in der Küchentür stehend, »hast du die Rollmöpse bestellt? Und Schirwinski soll die Schrippen liefern.«
    Schirwinski war der Bäcker.
    Tante Deli, einmal in Fahrt, verschränkte die Arme unter ihren immer runder werdenden Brüsten und rief: »Fünfzig Bouletten! Lydia, hol den Hack aus’m Keller. Wer brät die Bouletten? Ich kann den Trampel keinen Moment aus den Augen lassen. Wo ist sie? Lydia! Bring das Schmalz mit. Nicht das gute, das Affenfett.«
    Amerikanisches Schmalz, das in Kanistern kam, nannte sie Affenfett.
    Draußen fuhr Hubert vor. Bald plumpsten die Fässer vom Wagen. Sternchen ließ sie durch eine Luke in den Keller. Hubertsetzte sich an den Tisch, wo ich mein Buch las. »Anneli, du bist gewachsen«, stellte er fest, als habe er Anneli ein Jahr lang nicht gesehen. Gewachsen war sie, aber Brüste bekam sie immer noch nicht. Nur zwei kleine Hügel, wie Walnüsse. Damit säugte sie ihre Puppe.
    Hubert zischte eine Molle, dann noch eine und eine dritte. Dann wischte er sich den Schaum vom Mund und sagte: »Nu, wo Eberten doot is, meinste, sie wählen Hindenburg?«
    »Gefährlich«, sagte mein Vater. »Das öffnet diesem Hitler Tür und Tor.«
    »Ja, der.« Hubert ging zur Theke, zog die nächste Molle an sich heran und schluckte sie im Stehen. »Er verschanzt sich hinter unseren Generälen. Erst Ludendorff, der Marsch auf die Feldherrnhalle. Jetzt Hindenburg.«
    »Der Sieger von Tannenberg«, bekräftigte mein Vater.
    Aus der Küche rief Tante Deli: »Rufste an wegen den Rollmöpsen?« Dann hörten wir, wie sie Lydia beschimpfte, die das falsche Schmalz gebracht hatte.
    Zweierlei bereiteten wir vor: die Premiere unseres Filmtheaters und das Schützenfest – »das erste friedensmäßige Schützenfest«, wie mein Vater prophezeite. Joachim, in seiner Vernarrtheit, bildete die treibende Kraft für den Kintopp, unterstützt von Werner Spiehr und Sternchen. Soweit ich das begriff, auch von mir. Ich war kein Filmfanatiker wie mein Bruder. Aber seine Art, sich in die Aufgabe zu verbeißen, die er sich gestellt hatte, faszinierte mich. Und wohl auch unseren Vater und ein paar andere, mit denen wir nicht gerechnet hatten.
    So zog als neuer Schützenhaus-Stammgast Leberecht Lehmann ein, stets begleitet von Kitty van Delft, die nach wie vor kein Wort sprach und Manoli-Ringe zur Decke blies. »Det mit Ihrem Kino jefällt mir«, sagte L.-L., zog sich einen Stuhl heran und bestellte Sekt. »Ham Se doch?« fragte er Robinson Krause, und Robinson schickte Lydia in den Eiskeller, um Sekt zu holen.
    In der Zwischenzeit ging Lehmann in den Saal hinüber, wo er mit Joachim über technische Einrichtungen diskutierte undwohl auch über Filme, Programmgestaltung und Verleihfragen. Er hatte gerade einen Verleih gegründet.
    Ohnehin saß er immer, wie ein Vogel auf der Stange, auf der Stuhlvorderkante, bereit, aufzuspringen.
    Manchmal kamen ihm Zweifel: »Ob die Leute det annehmen? Sie rennen in Massen in diese Filmpaläste, vorher gibt es Unterhaltung. Ein Zauberer, fünf Girls, die sich ihre Beene verrenken. Stellt euch vor, die tragen rosa Trikots. Warum? Weil niemand weeß, ob der Polizeipräsident nicht nackte Beene verbietet. Und det, nachdem janz Berlin in der Inflation in Jeheim-bars lief, wo jekokst wurde und nackte Jenerals- und Portierstöchter rumhüpften. Mit Schleiertanz. Salome, Salome …«
    Kitty lachte. Und sprach zum ersten Mal. »Du mußtet wissen«, sagte sie. j
    Sie hatte eine Stimme, mit der sie heutzutage Reklame für Rachengold schieben könnte. Zufällig saß am Nebentisch Wilfried Wumme mit seiner Blase, lauter Fußballer, die eine Molle nach der anderen zischten. Wilfried kriegte sich nicht mehr ein, er starrte Kitty van Delft an, als sei sie ein höheres Wesen, das aus unerklärlichen Gründen einen irdischen

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