Das Schützenhaus
Vater träumte von einer akademischen Laufbahn für seinen ältesten Sohn. So weit hatte es noch nie jemand in der Familie gebracht. Meinem Vater erschien das als die Krönung einer Entwicklung, die, mit der Generation meiner Großeltern, der »Millionenbauern«, einen Schicksalsknick erlitten hatte.Die stattgefundene Entwurzelung, so sehe ich es heute, sollte kompensiert werden: »Hoffentlich wird was Rechtes aus den Kindern«, seufzten sie bierschwer.
Sogar Radke renommierte: »Ich lasse Lieschen uff die Handelsschule jehen. Da lernt se Stenojrafie und Schreibmaschine, ooch Buchführung. Herr Pommrehnke, denn können Se die Kleene in’t Jeschäft nehmen.«
Pläne überall.
Ein Kintopp für Joachim?
»Du brauchst gar nicht hinzulatschen, um dir die Apparate anzusehen«, sagte ich auf dem Schulweg zu ihm. «Die Erwachsenen wollen, daß du Gerichtsreferendar wirst oder irgend so ein karierter Klugscheißer mit schwarzen Ärmelschonern und ’nem halben Appel in der Stullenbüchse. Wirst sehen, mit Kintopp ist Essig.«
»Ich glaube nicht«, sagte Joachim. »Mich schmeißt keiner aus der Kurve, wetten? Alles andere interessiert mich nicht. Ärmelschoner schon gar nicht. Mag sein, wir brauchen ein bißchen Zeit. Mag sein, diesmal klappt’s nicht. Aber ich lasse nicht los. Da bin ich wie Zeppelin, wenn er ’ne Wurst kaut.«
Am Nachmittag, in der Pferdebox, konferierte Joachim mit Sternchen Siegel. Ich leimte Spanten für ein Flugmodell und hörte zu.
»Ich möchte abraten, nebbich«, sagte Sternchen Siegel auf den Vorschlag, daß Joachim sich die Apparate ansehen wolle. »Du gehst hin, se sagen, was will das Kind, bitte gütigst um Verzeihung. Genommen den Fall, wir kriegen ihn rum, den Alten. Dann kommt er, der Verkäufer sagt, das Kind ist dagewesen, bereits. Eindruck? Schwach. Äußerst schwach.«
»Ich muß wissen, ob die Projektoren was taugen.«
»Werden se nichts taugen, wenn der Mann hat bespielt sein Kino damit. Zusätzlich: Werner weiß. Er wird nich reden von de Sachen, wenn se nichts taugen. Also. Zurück auf Matte, ja? Laß Werner und mich machen.«
»Ich seh’s nicht ein«, sagte Joachim, »aber ist gebongt. Ich warte.«
Sternchen drehte seinen Mützenschirm nach hinten und flitzte ab.
Ich weiß nicht, mit welchen Argumenten sie meinen Vater bearbeiteten. Werner Spiehr kam, nach Strapazierung des Klaviers mit neuen Schlagermelodien, mit dem Bier in der Hand aus dem kleinen Saal. Mit einem Augenzwinkern gab er uns »Kindern« zu verstehen, daß wir uns verziehen sollten. Sternchen sahen wir hinter der Theke hin- und hertanzen. Tante Deli stand in der Küchentür, wachsamen Blicks. Anscheinend wußten alle, was stattfinden würde. Es waren gerade keine Gäste zu bedienen. Mein Vater biß die Spitze von einer neuen Fehlfarbenzigarre und spuckte sie auf den Fußboden. Sonst wurde er von Tante Deli dafür gerügt, aber diesmal sagte sie kein Wort.
Wir trampelten die Treppe hinauf und über die Köpfe der Konferierenden in unsere Zimmer, damit sie uns dort hörten, dann schlichen wir sofort zurück. Anneli hatten wir ermahnt, auf ihren Hackengang zu verzichten. Sie ging wie ein Hase, der ein paar Schrotkugeln in den Hintern bekommen hat.
Auf der Treppe hockend, bekamen wir ungefähr mit, was sie in der Gaststube besprachen. Es ging wieder um Millionen oder Billionen. Überraschend für uns wurden mehrfach Goldmark erwähnt. Sollte es einen geheimen Schatz im Haus geben? Von den Zweimarkrollen hatte sich mein Vater gerade noch rechtzeitig getrennt, eines Tages wollte diese Münzen, entgegen allen Voraussagen, niemand mehr annehmen. Mein Vater hatte dafür den Inhalt eines Schnapsladens gekauft, in den ein Pferdefuhrwerk gerast war. Er kaufte den Bruch mit, erzielte einen sagenhaft niedrigen Preis und zahlte mit den Zweimarkstücken. Die heilgebliebenen Flaschen wurden im Eiskeller gestapelt. So gab es im Schützenhaus, entgegen der Vermutung gewisser Gäste, immer einen guten Schnaps.
Goldmark also. Wofür? Joachim verpaßte mir einen Rippentriller, legte dann die Hand ans Ohr. »Hör gut zu«, hieß das. Wir hörten Werners Stimme heraus, der wiederholte: »Kintopp hat Zukunft.« Und wir hörten Tante Deli. Sie hielt einen mehrfach unterbrochenen Monolog, nur die Sätze, die sie im Diskantsprach, drangen zu uns herauf. Sätze wie: »Mit mir nicht.« Oder: »Ihr laßt euch von den Bälgern verschaukeln.« Oder: »Für eine anständige Wärmflasche ist kein Geld da. Aber Kinoapparate werden
Weitere Kostenlose Bücher