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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Versuch, mir ins Auge zu blicken, stellte fest: »Das ist der Durchbruch!«
    Glücklicherweise hörte ihn sonst niemand.
    In offizieller Eigenschaft sahen wir Puvogel nur noch ein einziges Mal. Herr Schweinigel, der Dorfschmied – er legte Wert darauf, daß sein Name »Schweinjel« ausgesprochen wurde –, hatte, wie er betonte, in Tag- und Nachtarbeit die Eisentreppe angefertigt. Puvogel besah sie sich, stieß mit dem Fuß dagegen, als bestünde die Möglichkeit, daß die Holztreppe von uns nur angemalt war, bis sie wie Eisen aussah. Der metallische Klang überzeugte ihn. Er drückte einen Stempel auf den Abnahmebescheid und krakelte seine Unterschrift darunter.
    Von da an blieb er uns als Stammgast erhalten, in Zivil. Bald berichtete er, daß er in der Kolonie den Laden aufgemacht habe. Überdies sei er frisch verheiratet. Seine Frau brachte er jedoch nie ins Schützenhaus mit. Fürs Kino gaben wir Puvogel Freikarten.
    Eines Abends, die Gaststube war voll, erlitt Leberecht Lehmann, was Tante Deli einen »philosophischen Anfall« nannte. Lehmann sprach dann hochdeutsch, jedenfalls eine Version von Berlinerisch, die er dafür hielt. »Woher kommt es, daß man sich hier wohl fühlt? Weil es nicht Berlin ist, die hektische Großstadt. Jawohl. Ihr sagt, ihr fahrt nach Berlin, wenn ihr in die Stadt wollt. Recht so! Potsdamer Platz, Sarotti-Mohren, Wertheim, sehn Se, det is Berlin!«
    Mein Vater grunzte unwillig. Lehmann fuhr fort: »Natürlich sind wir Groß-Berlin, dieser Vorort gehört dazu. Aber alle Nachrichten, die Berlin betreffen, spielen in weiter Ferne.«
    Er wußte nicht, daß er an diesem Abend eines anderen belehrtwürde. Er fuhr fort, von Sand und Märkischer Heide zu reden und von Kiefernwäldern und Havelseen, der ganze Quatsch, den man immer zu hören bekam, wenn hier draußen angetrunkene Gäste »höheren Standes« von Berlin redeten oder von dem, was eben Berlin nicht war oder auch war oder nur begrenzt war oder hauptsächlich war – niemand wurde schlau aus den sich immer mehr verwirrenden Reden von Lehmann und seinesgleichen. Und niemand hörte mehr hin.
    Wenn Lehmann salbaderte, hörte allerdings Kitty hin, oder, anscheinend, sie erweckte diesen Eindruck, indem sie ihr Lächeln erweiterte und mit den Augenlidern schlug. Sie trug falsche Wimpern, kräftig und schwarz, die Lider waren düster geschminkt und sahen aus wie Rabenflügel. Ich gestehe, auch dieser Vergleich ist nicht auf meinem Mist gewachsen, er stammt von Werner.
    An diesem Abend lief alles falsch, was vielleicht daran lag, daß Kitty versagte. Sie saß starr am Tisch, blies Rauchringe, schlug nicht mit den Rabenflügel-Augenlidern, sondern blickte an L.-L. vorbei auf einen imaginären Punkt an der Wand neben dem Büfett. Ein bißchen weiter hing ein Abreißkalender von Schultheiß, mit Fliegendreck bekleckert, aber sie blickte nicht einmal diesen Kalender an.
    Kitty starrte auf die Wand. Hin und wieder stieg über ihrem Lackbubikopf ein Rauchkringel auf.
    Man hätte Wetten abschließen können, wie lange L.-L. brauchen würde, bis er das merkte. Eine Weile salbaderte er weiter über diesen in seinen Augen bedeutenden Unterschied zwischen Stadtrand und City. »Der idyllische Stadtrand!« schmetterte er. »Und die tosende City mit ihren Hochbahnen, Sechstagerennen und Siemens-Werken!«
    Wieso er auf die Siemens-Werke kam? Beim Anblick von Kitty wäre mir der Luna-Park eingefallen und Moka-Efti und der Wintergarten und Haus Vaterland.
    Lehmann fiel Siemens ein! Möglicherweise erreichte dadurch Kittys Erstarrung einen Höhepunkt, der Lehmann auffiel. Er brach ab und setzte sich in seinen Stuhl zurück, nachdem er dieganze Zeit auf der Vorderkante gezappelt hatte. Den Blick auf Kitty gerichtet, begann er Liebermann-Witze zu erzählen.
    Liebermann-Witze waren damals, wie wir jetzt sagen würden, »in«, Lehmann erzählte sie saftig, das mußte jeder zugeben. Nachdem Robinson Krause an Lehmanns Tisch eine weitere Sektpulle mit sanftem Korkenknall geöffnet hatte, stieg L.-L. aufs neue Thema um. »Einmal sollte Liebermann ein Porträt von einem Bankdirektor malen, einem Neureichen, direkt Parvenü.« Lehmann preschte mit eingelegter Lanze vor, hätte mein Vater das kavalleristisch formuliert. Den Blick hielt Lehmann auf Kitty gerichtet. »Der Mann«, fuhr er fort, »kam also zu Liebermann, sie besprachen das Nötige. Am Schluß fragte der Parvenü, wie viele Sitzungen nötig seien. Liebermann sah ihn an und sagte: ›Schicken Se Ihren Frack.

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