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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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abgestürzt war, kurioserweise war es sein erfolgreichstes Modell, er verkaufte es bis nach Amerika. Dort sahen es wohl die Gebrüder Wright und ließen sich zu eigenen Flugversuchen anregen. Sie endeten, wie man weiß, mit dem ersten erfolgreichen Motorflug.
    Über ein Gerippe aus Weidenzweigen spannte ich Pergamentpapier, das ich, wie beim Flugmodellbau, der jetzt in Mode kam, mit Spannlack behandelte. Ich vergaß auch den Sicherheitsbügel nicht.
    »Wenn das fertig ist«, sagte Joachim, »was machst du dann?«
    Ich verriet meine geheimsten Pläne: »Beim Schützenfest will ich damit vom Dach des Schützenhauses fliegen.«
    Joachim sah mich durch seine Brille an, mit einer Art kugelsicherem Blick. Das fiel mir damals ein: kugelsicherer Blick. »Das meinst du ernst?« fragte er.
    »So ernst wie du mit deinem Kintopp. Du willst dich davon doch auch nicht abbringen lassen, oder?«
    Joachim lachte. »Wahrscheinlich erscheine ich unseren Hausgenossen ebenso meschugge wie du mit deinem Flugapparat. Und ich gebe zu: Trotz der Großzügigkeit unseres Vaters scheint mein – unser – Kintopp keine Zukunft zu haben. Es ist das Flohkino unter den Flohkinos. Der Saal ist schlimmer, provisorischer als irgendein Saal in der Stadt. Alle spielen ein bißchenmit, Werner, Sternchen, Siegel, weil es ihnen Spaß macht. Ernst nimmt das keiner.«
    Er scharrte mit einem Fuß in der alten Torfmullschicht, die den Stallboden bedeckte. »Wahrscheinlich hoffen sie«, fuhr er fort, »daß ich mich von diesen Jugendspielereien abwende, Abitur mache, ein vernünftiger Mensch werde. In ihren Augen vernünftig. Und wirklich, es sieht so aus, als kämen wir nicht voran. Gut, das Kino wird dreimal die Woche bespielt, es trägt sich. Was aber, wenn der Tonfilm kommt? Neue Maschinen werden dann notwendig. Wahrscheinlich kosten sie das Zehnfache von den Projektoren, die wir jetzt benutzen. Wer soll das bezahlen?«
    Er sah mich an und doch an mir vorbei und wiederholte: »Wer soll das bezahlen?«
    »Vater«, sagte ich.
    »Das glaube ich nicht«, sagte Joachim. »Wenn er den Eindruck hat, daß es Ernst wird, reagiert er mucksch. Eskadron – halt! Die Sprüche kennen wir doch. Ich bin gleich sechzehn. Von der Penne gehe ich mit mittlerer Reife ab, darauf kannst du einen lassen. Und wenn ich in der Stadt in einem Kino arbeite! Als Vorführer!«
    »Wie willst du das dem Alten beibringen?«
    Joachim erzeugte mit dem Fuß braune Wölkchen, als trete er auf Bovisten. »Beibringen? Dem ist nichts beizubringen. Ich muß ihn vor die vollendete Tatsache stellen.«
    Joachims Stil. Vollendete Tatsachen. »Du brauchst seine Zustimmung«, sagte ich. »Bis wir einundzwanzig sind, brauchen wir seine Zustimmung. Für alles und jedes.«
    Bereits gewöhnte ich mir seine Sprechweise an.
    »Vielleicht läßt sich was mit unserem Kintopp hier drehen«, sagte Joachim. »Sie bauen eine neue Siedlung am Graben. Mehr Publikum. Berlin ist weit, sie wollen nicht immer in die Stadt. Außerdem sollte man über die Dörfer ziehen, Vorstellungen in Gasthöfen veranstalten.«
    »Dazu brauchst du transportable Geräte.«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    Ich bewunderte Joachims Zielstrebigkeit, die fast einer Besessenheit gleichkam. Hans Joachim war sein vollständiger Vorname, laut Geburtsurkunde. Es war der Vorname eines Husarengenerals, wie konnte das anders sein bei uns, wo die Plempe, der Husarensäbel, im sogenannten Eßzimmer an der Wand hing, die Husarenstiefel blankgeputzt auf der Kellertreppe standen, mit gelber Lackborte. »Joachim Hans von Ziethen, Husarengeneral« – Fontanes Gedicht stand in jedem Lesebuch –, »Ziethen aus dem Busch«.
    Eine Verpflichtung? Damals erschien so etwas gar nicht lächerlich, alle Welt watete bis zum Kinn in derartigen Traditionen.
    »Vielleicht geschieht ein Wunder«, sagte ich.
    »Genauso ein Wunder, wie es nötig ist, damit dein Apparat fliegt.« Joachim deutete auf die Flügel über unseren Köpfen. Die Hitze summte.
    In der Gaststube saß jetzt öfter Herr Schönicke. Alfons Schönicke, seines Zeichens Präsident der Schützengesellschaft und augenblicklicher Schützenkönig. Herr Schönicke hatte als Gehilfe in einer Futter- und Düngemittelhandlung begonnen. Jetzt gehörte ihm das Geschäft. Wie er das gedeichselt hatte, blieb sein Geheimnis. Anscheinend gab er eine Menge Geld für den Schützenverein aus. »Wir müssen das erste wirklich friedensmäßige Schützenfest veranstalten«, betonte Schönicke. Er umklammerte sein Weißbierglas,

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