Das Schützenhaus
Det jenügt.‹«
Lehmann sah sich um, Ein paar Leute lachten. Kitty van Delft verharrte in ihrer Erstarrung.
An diesem Abend hatten wir gemischtes Publikum, Laubenkolonisten, die unverzagt KPD wählten, aber auch ein paar Sympathisanten der neuen Nazipartei. Wir kannten sie gut, wenn sie betrunken waren, sangen sie Nazilieder.
Einer von ihnen stand auf, wobei er sich, volltrunken, wie er war, auf die Tischplatte stützte, sagte in die entstandene Stille hinein: »Liebermann – die Judensau!«
Wilfried und die Männer seiner Blase sprangen auf, Rufe ertönten: »Nazi!« – »Kommunisten!« – »Judenknecht!« Sternchen Siegel war hinter der Theke hervorgesprungen und hing dem Betrunkenen am Hals. »Sag das noch mal«, schrie Sternchen, »sag das noch mal!«
Der Betrunkene wollte Sternchen abschütteln. Aber Sternchen hatte sich wie ein Terrier in seinen Feind verbissen.
Inzwischen fielen Wilfried und seine Blase und Nazi-Sympathisanten übereinander her. Mollegläser krachten auf Schädel – die große Molle wurde im Henkelglas serviert, das nicht, wie heute, eine Sollbruchstelle besaß. Robinson wedelte mit seiner Serviette, als wolle er Fliegen verscheuchen. Sternchen fiel zu Boden, der Nazi trat mit dem Fuß nach ihm. Unter den Tischenschoß Zeppelin heran, in mörderischer Geschwindigkeit trotz hohen Hundealters, und zwickte dem Nazi ins Bein. Der schrie und schlug nach dem Hund, traf aber Sternchen, der eben unter dem Tisch hervorkroch. Sternchen sank zusammen und blieb liegen.
Anneli, von dem Lärm herbeigelockt, stand auf der Treppe und blickte mit Riesenaugen auf die Szene. An den Fuß der Treppe hatten sich auch Tante Deli und Lydia zurückgezogen. Lydia unternahm von hier aus Vorstöße in den Saal. Sie lief, wie ein Schiff sich bei mäßig bewegter See bewegt, sie schwoite hin und her. Manchmal bückte sie sich und sammelte ein zerbrochenes Glas, eine heruntergefallene Handtasche auf. Ihre Fundsachen lagerte sie auf dem Tresen, hinter dem mein Vater stand und »Ruhe im Beritt!« rief.
Vergeblich. Niemand hörte auf ihn. Manchmal mußte er fliegenden Gegenständen ausweichen.
Im kleinen Saal hatte, seit das Klavier abtransportiert war, Werner Spiehr eine Quetschkommode deponiert, auf der er bei den nun seltenen Kindervorführungen spielte. Jetzt stand er, diese Quetschkommode umgeschnallt, in der Tür und begann mit voller Lautstärke die Marseillaise zu spielen, Allons enfants, gemischt mit Fetzen aus dem Preußischen Präsentiermarsch. – Das war sein Programm fürs Klavier gewesen, als wir einmal, im Rahmen einer Matinee, eine Rolle aus dem Napoleon-Film von Abel Gantz zeigen konnten.
Manchmal bückte sich Werner, wenn ein Stuhlbein nahe vorbeiflog oder ein Glas neben ihm an der Wand zerschellte. Er drückte das Instrument mit aller Kraft, übertönte die Schreier. Aber auch Vaters Ruhe-Rufe gingen in diesem musikalischen Lärm unter. Später sagte mein Vater, an diesem Abend sei ihm klargeworden, daß die Posaunen des Jüngsten Gerichts durch Ziehharmonikas ersetzt werden würden.
Kitty befand sich jetzt nahe am Ausgang, ihre Starre war gewichen, jetzt lachte sie, blies Rauchringe. Vor ihr stand, ein Stuhlbein erhoben, Leberecht Lehmann, bereit, sie zu verteidigen. Schweiß leuchtete auf L.-L.s Glatze, er kaute ein Schnurrbartende.Doch der Kampf verschob sich nach der anderen Seite. Mein Vater blickte auf die Fundsachen, die sich vor seinen Augen anhäuften. Joachims Brille war darunter. Joachim kroch halbblind zwischen den Tischen und zog Sternchen Siegel am Bein. Sternchen, aus seiner Betäubung erwacht, war bestrebt, in die entgegengesetzte Richtung zu kriechen. Mehrere Krakeeler stürzten über die beiden. Vor Werner kniete ein Mann und hielt sich den Kopf. Blut floß aus seiner Nase und aus einer Kopfwunde.
Und ich? Ab und zu nahm ich ein Bierglas und haute es einem Unvorsichtigen über den Schädel, ohne Unterschied der Gesinnung. Ich dachte, erst wenn alle auf dem Boden lägen, würde der Krawall aufhören.
Jedoch unterschätzte ich meinen Vater. Plötzlich schoß er hinter dem Tresen hervor, ein Tablett in der Hand. »Husaren, mir nach!« schrie er und putzte ein paar Rauf er mit der Tablettkante nieder. Bei dem Radaubruder angelangt, dessentwegen der Zirkus angefangen hatte, hob mein Vater das Tablett und ließ es auf dem Kopf des Gegners niedersausen. Diesmal mit der flachen Seite. Der Boden des Tabletts bestand aus Sperrholz. Der Schädel des Mannes bohrte sich durch die
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