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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Sperrholzplatte. Das Tablett saß ihm wie ein Kragen auf den Schultern.
    Der Mann wankte zur Tür. Er mußte an Kitty vorbei. Kitty öffnete zum zweiten Mal, seit wir sie kannten, ihren Mund zum Reden.
    »Dir steck’ ich ’ne glühende Manoli in den Arsch«, sagte sie zu dem Mann.
    Lehmann trat ihm in den Hintern. Der Mann flog zur Tür hinaus. Vielleicht lag es daran, daß die Tür jetzt offenstand: Mein Vater, Wilfried und was von seiner Blase übrig war und ein paar Stammgäste räumten auf. Wer sich nicht ergab, flog durch die Tür. Ein besonders Mutiger sprang Wilfried an. Der griff eine Flasche Pfefferminzlikör, die auf einem Tisch neben ihm stand, und schmetterte sie dem Angreifer auf den Kopf. Der grüne Likör floß über das Gesicht des Feindes. »Die jrüne Woche is eröffnet«, rief Wilfried.
    Danach wählten alle, die noch laufen konnten, freiwillig die Passage nach draußen. Werner intonierte: »Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd …«
    Vor der Tür, sah ich, nahm Robinson Krause die Brüder und Schwestern in Empfang und kassierte ab. Er tat das in untadeliger Haltung, addierte auf einem Block im Schein des aus den Fenstern fallenden Lichts. »Bitte, drei Mark fuffzig«, hörte ich ihn sagen. Die meisten zahlten willig.
    Der Saal war leer. Übriggeblieben waren, neben der Familie, Wilfried und ein paar Getreue, einige lädiert, und Lehmann mit Kitty. »Meine Husaren«, sagte mein Vater, und seine Stimme klang stolz. Werner Spiehr verschloß die Quetschkommode. Joachim und Sternchen lagen über Stuhllehnen, Federbetten nicht unähnlich, die eine Hausfrau zum Auslüften über einen Gartenzaun breitet.
    Zeppelin leckte Bierpfützen.
    Tante Deli stand mitten in der Gaststube. »Jetzt räumen wir auf, oder?« fragte sie.
    Kitty lachte herzlich. Lydia stellte sich neben Joachim und hielt ihm die zerbrochene Brille vor die Nase.
    »Eskadron – absitzen!« kommandierte mein Vater. »Der Rest jeht aufs Haus.«

8
    Die Schäden von der Rauferei waren schnell behoben. Die meisten Gäste kamen wieder, mehr oder weniger ramponiert. Vorstadt-Berliner – vielleicht sogar fast alle Berliner – sind gutmütig, das jedenfalls behauptete mein Vater.
    Nur der Mann, der das Tablett als Kragen verpaßt bekommen hatte, und seine Freunde ließen sich nicht mehr sehen. Niemand vermißte sie. Doch rechneten wir mit einem Überfall. »Mich würde es nicht wundern«, sagte Tante Deli, »wenn die uns einen SA-Trupp schicken, der uns die Scheiben einschmeißt, oder?«
    Allmählich vergaßen wir die »Nacht der fliegenden Gläser«, Berichte über Heldentaten, allen bekannt, langweilten schließlich. Die Kopfwunden verheilten. Hubert lieferte ein paar Kartons mit neuen Gläsern, sie ersetzten den Bruch. »Is alles bezahlt«, murmelte Kellner Robinson.
    »Wieso?«
    »Ick habe damals beim Kassieren vor der Tür uff jede Rechnung drei kaputte Jläser jesetzt.«
    Robinson Krause tat so, als wenn er Krümel von einem Tisch wischte, er knallte seine Serviette aufs Holz. Alle achteten die Geste und schwiegen. Als ich mich umsah, stellte ich allerdings fest, daß sie grinsten: unser Vater, Tante Deli, Werner, Sternchen, sogar Lydia. Joachim bleckte die Zähne und schaute durch seine nagelneue Brille, wieder mit schmalem schwarzen Rand, er trug nie eine andere, wenn ich von einer unsäglichen Dienstbrille später und einer noch unsäglicheren Gasmaskenbrille absehe.
    Augusthitze. Manchmal staute sich im Westen ein Gewitter. Es brauchte einige Zeit, bis es über die Havel kroch. Dann rannen die weißen Haufenwolken zu einer dunkelblauen Wand zusammen. Spaziergänger, von den ersten dicken Tropfen getroffen, die kleine Sandfontänen aufwirbelten, retteten sich aufdie Veranda, riefen Puh! und Fuideibel! und überlegten, was sie bestellen sollten. Sie saßen im Trocknen, es goß, blitzte und donnerte. Nach einer Weile sagte mein Väter: »Im Westen wird es wieder hell.« Dann standen sie auf und zahlten, und wenn es nur noch tröpfelte, gingen sie weiter, um die Pfützen herum, die sich gebildet hatten.
    Die Türen der Stallboxen, in denen Joachim und ich nach wie vor unsere Werkstätten betrieben, standen offen. Kaum eine Stunde nach dem Regenguß löste die Sonne den Teer auf den Pappdächern auf, ein Geruch, der heute noch, nach vielen Jahren, die Bilder jenes Sommers vor meinen Augen entstehen läßt.
    In meiner Box breiteten sich die Flügel eines Flugapparates. Ich baute jenes Starrflügelmodell Lilienthals nach, mit dem er

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