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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Kinoplänen ein, wie Joachim es formulierte, williges Ohr leihen. Wie damals, als er die versteckten Goldmark herausrückte, mit denen Lehmanns Projektoren erworben wurden.
    Neuerdings winkte Vater jedoch ab, die Zigarre in der Hand, sobald Joachim in der Tür auftauchte. »Das Radio hat Zukunft«, sagte er. Und fügte manchmal hinzu: »Und die großen Filmpaläste.«
    Im übrigen, meinte er, sei es Zeit, daß wir uns ums Schützenfest kümmerten. »Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus«, brummelte er. Zeppelin steckte seine braune Nase unter dem Bett hervor und sah Joachim an. »Mit einem Vorwurf im Blick«, sagte Joachim. »Zeppelin hält zu Vater. Die Alten tun sich zusammen.«
    In der Tat resultierte unsere Schwierigkeit, uns verständlich zu machen, immer wieder aus der Einstellung dieser Generation, zu der mein Vater – und wohl auch Zeppelin – gehörten. Mit Kindern sprach man nicht. Kind war man bis zum einundzwanzigsten Geburtstag. Ein Jugendlicher war geschäftsunfähig, er durfte ohne Erlaubnis des Erziehungsberechtigten nicht heiraten. So stand es im Bürgerlichen Gesetzbuch. Gelegentlich schnüffelten wir darin rum.
    Joachim hörte niemand zu, wenn er über seinen Kintopp redete. Mir hörte niemand zu, wenn ich das Thema Flugversuche anschnitt. Allenfalls sagte jemand: »Willste Flieger werden?« oder schlug mir auf die Schulter und scherzte: »Unser neuer Richthofen.« Hier draußen, wo die gepriesenen Zwanziger Jahre nicht stattfanden, ließ sich alles einem einzigen Motto unterordnen: »Deutschland über alles«. Bald würde niemand mehr aufstehen, wenn jemand Liebermann einen Saujuden genannt hätte: die Gäste aus der Stadt nicht, weil sie insgeheim dasselbe dachten, und die Laubenmenschen aus Angst nicht. Die Idylle täuschte.
    Puppenmutter Laura führte das Braunbier ein. Brause mochte sie nicht. Hubert lieferte Fäßchen mit Malzbier, Pupenbiergenannt. Sie und Anneli zogen es auf Flaschen, und die angefangenen Flaschen standen überall herum. Sogar die Puppen mußten Malzbier trinken. Sie sahen verklebt aus.
    Keine Chance für das Kino? Oma und Opa reisten an. Opa wuchtete Koffer und Plaids aus Ede Kaisers Chevrolet, wenn Oma reiste, nahm sie ihren halben Haushalt mit. Ohne ihre gewohnten Dinge, meinte sie, könne sie nicht leben.
    Oma drückte uns an ihre breiten Brüste, sie steckten in einem Futteral aus ähnlichem Stoff, wie sie ihn für die Kaffeetante geliefert hatte. Opa trug gestreifte Stresemannhosen, dazu eine Jacke aus Englisch-Leder mit vielen Taschen, wie man sie an Jägern oder Anglern sieht. Die Zusammenstellung fand er passend, obwohl Lauras Mutter scherzte: »Unten Reichskanzler, oben Lederstrumpf.«
    Oma drückte uns, bis wir japsten. »Ach, ihr«, flüsterte sie, und ihre Augen waren feucht. Sie führte ein, daß die Familie wieder oben am Eßtisch speiste, unter dem Geweihkronleuchter. Lydia kurbelte die Platten in dem nie zuvor benutzten Speiseaufzug nach oben, einem flachen Kasten, der sich an Seilen bewegte und Geräusche verursachte, als stürze ein Teil des Schützenhauses ein. Oma und Lydia unterhielten sich durch den Aufzugschacht.
    Oma inspizierte die Kaffeetante und war zufrieden. In Kinofragen wurde Joachim unerwartete Hilfe von Opas Seite zuteil. Opa sagte: »Warum zeigt ihr nicht während des Schützenfestes Kurzfilme? Die Leute gehen gerne für ein paar Minuten oder eine halbe Stunde ins Kino.«
    Er besichtigte den Saal und war erschüttert. »Das ist eine Baracke«, sagte er. »Das schlimmste Flohkino, das ich je gesehen habe. Die ollen Jirlanden. Könnt ihr mir sagen, welche Farbe sie haben? Vor lauter Fliegenkacke erkennt man det nich mehr.«
    Unser Vater, der hinter ihm stand und an seiner Zigarre sog, meinte: »Kein Geld. Die Häuser werfen nischt ab. Seit der Rentenmark wollen sie keine Miete zahlen. Jeden Tag sitzt mir ein Mieter auf der Pelle und will Ermäßigung.«
    »Du machst was falsch«, rügte Großvater, er sagte aber nicht,was mein Vater falsch machte. Der sog an seiner Zigarre, und seine blauen Augen blitzten. Wahrscheinlich hätte er gerne der Eskadron den Befehl gegeben: Füsiliert den ollen Meckerer.
    Großvater ergriff die Initiative. »Runter mit die Jirlanden«, sagte er. »Und Farbtöppe her. Alle Mann an die Brassen.«
    Großvater war in seiner Jugend zur See gefahren. Hier stieß die Kavallerie auf die Marine, wir würden sehen, wer Sieger blieb. Im Augenblick war die Marine im Vorteil.
    Opa schickte uns auf die Leitern, ich

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