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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Schifferklavier spielten zum Tanz auf. Aus Brettern hatten wir einen Tanzboden gezimmert. Lieschen Radke trug ein mit Rosen bedrucktes Kattunkleid, das wie eine Wurstpelle an ihr klebte. Sie tanzte mit Joachim, sooft der aus seinem Kino wegkam, er löste sich mit Sternchen und mir in der Vorführkabine ab. Es war glühend heiß dort oben, die Spulen, alles Fünfunddreißig-Millimeter-Film, wogen schwer.
    Einmal, als ich neben Lauras Mutter in der Stehbierhalle stand, sah ich, wie Wilfried die inzwischen eingeseifte Kletterstange hochhangelte und nach den an dem Wagenrad aufgehängten Trophäen griff. Er rutschte immer wieder ab, die Leute lachten und ermutigten ihn durch Zurufe: »Höher, Tarzan!« – »Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei!« – »Seife biste nich jewöhnt, wat?« Onkel Pelle alias Puvogel umkreiste die Gruppe auf seinem Hochrad.
    Mein Vater sagte: »Alles läuft wie am Schnürchen.«
    Robinson Krause befehligte eine Lohnkellner-Brigade. »Man muß aufpassen, det sie sich nicht die Eisbeine in die Taschen stopfen«, sagte er.
    Am Tanzboden spielten sie: »Du hast ja keine Ahnung – wie schön du bist, Berlin …«
    Joachim schwenkte Lieschen im Kreis, ihre Beine waren bis oben zu sehen. Radke murmelte: »Da bahnt sich wat an.« Seine Frau hieb ihm die Mütze in die Stirn. »Bist nich jescheit, Doofmann«, zischte sie und zog ihn fort.
    Als der Tanz zu Ende war, sah ich, daß Lieschen mit Joachim in der Vorführkabine verschwand. Werner meinte später, das müsse gewesen sein, als Joachim die eine Rolle verkehrt herum einlegte.
    Die Kaffeetante wankte über die Festwiese. Die Kinder zogen sie an den Armen. »Werdet ihr das bitt schön lassen sein, nebbich«, schimpfte Sternchen aus seinen Kucklöchern.
    Der Sonnabend vormittag war für meinen Flugversuch vorgesehen. Ich rechnete damit, daß dann nicht so viel Publikum meiner Premiere als Pilot beiwohnen würde. Doch die Sache hatte sich herumgesprochen. Die halbe Laubenkolonie war da. Hubert, der Bier lieferte, ließ das Fuhrwerk stehen. Er hängte den Pferden die Futterbeutel um. Anscheinend wollte niemand das Schauspiel versäumen. Sechs Mann von der Schützenkapelle waren angerückt und intonierten »Puppchen, du bist mein Augenstern« und ähnliche Ohrwürmer. Die Zuschauer hielten Biergläser in den Händen. Sternchen und ich schleppten Leitern ans Schützenhaus und zerrten den Flugapparat aufs Dach. Er war in zwei Hälften zerlegt, ich setzte sie oben zusammen.
    Ermunternde Zurufe. Einer trompetete: »Pommrehnkes haben jetzt ’nen Storch. Vielleicht braten se sich den?« Joachim breitete unterhalb des Dachfirsts Strohgarben aus. Pessimist, dachte ich.
    Die Kapelle spielte einen Tusch. Ich steckte den Kopf durch die Öffnung zwischen den Flügeln, ergriff die Halterungen.
    Wie gerne wäre ich jetzt wieder die Leiter heruntergestiegen. Die Gesichter, mir zugewendet, glichen hellen Scheiben, mit einer Ausnahme: Mister Wilson, der Kesselpauker, war eingetroffen. Ich fixierte meinen Blick auf Mister Wilson und stieß mich ab. Schon merkte ich, wie der Apparat Luft unter den Flügelnbekam, da demontierte die rechte Tragfläche. Wie ein Stein stürzte ich zu Boden, hörte noch die Rufe der Zuschauer.
    In meinem Bett wachte ich auf. Tante Deli saß auf dem Bettrand. Sie legte mir Waschlappen auf die Stirn, die sie in kaltes Wasser getaucht hatte. In der Tür stand Oma und rieb ihre Brüste.
    »Was ist passiert?« fragte ich.
    »Nichts Besonderes«, sagte Tante Deli. »Du bist abgestürzt, oder?«
    An Oma vorbei drückte sich Zeppelin. Er sprang an mir hoch und leckte mir das Gesicht.
    Das Fest ging weiter. Am Nachmittag taumelte ich über die Festwiese, einen Verband um den Kopf. Ich hatte mir die Stirn aufgeschlagen. Die Narbe habe ich noch heute, niemand dachte daran, daß die Wunde genäht oder geklammert werden müßte. Dergleichen chirurgische Künste blieben auf die Innenstadt beschränkt. Hier vertrauten sie darauf, daß, wie Oma sagte, »die Natur sich selbst hilft«.
    Ich dachte, sie würden mich auslachen, aber ich bekam nur wohlwollende Gesichter zu sehen. Lieschen Radke, in ihrem Kattunkleid, das durchgeschwitzt war, baute sich vor mir auf und sagte: »Ick finde, du bist ’ne Kanone. Willste meine Freundin kennenlernen?« Sie hatte ein schwarzhaariges Mädchen mit Kohlenaugen dabei, in einem ähnlichen Kleid, wie sie es trug. »Mariechen, mein Name«, sagte die Freundin und gab mir die Hand.
    Ich tanzte mit Mariechen, nur Foxtrott

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