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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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und Schieber. Vom Walzer wurde mir schlecht. Wahrscheinlich hatte ich eine Gehirnerschütterung.
    Der Flugapparat lag im Schuppen. Oder, was davon übrig war. Vater ließ sich zu der Bemerkung hinreißen: »Du mußt Leisten von Bendix nehmen. Die sind stabiler.«
    Ganz Berlin verwendete Leisten von Bendix. Aber Leisten kosteten Geld. Weidenzweige wuchsen unten am Graben. Außerdem hatte Lilienthal ebenfalls Weidenzweige fürs Gerüst seiner Flugmaschinen verwendet.
    Wo war der Konstruktionsfehler? Es mußte doch möglich sein … Mariechen zog mich fort. »Geh mit mir in’n Kintopp«, bat sie. Da ich mit Vorführen dran war, lernte auch Mariechen die Kabine kennen. Ich gab acht, daß ich die Spulen richtig herum einlegte.
    Am Sonntag vormittag fand das Ausscheidungsschießen statt. Stundenlang hörten wir das Ballern von den Schießständen, trotz Blasmusik. Gegen Mittag trugen sie Puvogel auf einer Bahre vorbei, Onkel Pelle war vom Hochrad gestürzt. Er schien nicht ernsthaft verletzt zu sein, denn er lächelte mir zu.
    Wenig später stand der Sieger fest und wurde über Lautsprecher verkündet. Wiederum hatte Herr Schönicke es geschafft, er blieb Schützenkönig, wenn auch knapp. Sein Vorsprung betrug achtzehn Ringe. Die Kapelle spielte »Was machst du mit dem Knie, lieber Hans?«, das war gerade modern, und dann den Badenweiler Marsch. Zum Badenweiler Marsch zogen die Schützen ins Zelt, dort war ein Mittagessen für sie vorbereitet. Die Tradition verlangte, daß der Schützenkönig dieses Mittagessen bezahlte und alle Getränke. Arme wurden nie Schützenkönig.
    Schönicke, Junggeselle aus Überzeugung, wählte sich Kitty als Schützenkönigin. Ich weiß nicht, ob die Angelegenheit abgesprochen und Kitty vorbereitet war. Jedenfalls erschien sie in einer Art Dirndlkleid mit weißen Rüschen vor der Brust, wozu ihr Bubikopf seltsam aussah. Schönicke führte Kitty zu Tisch, Lehmann saß am anderen Ende der Tafel, er hatte Lauras Mutter als Tischdame. Die Pole der Tafel waren unsere beiden Bubiköpfe. Wie gewohnt, richteten sie ihre Zigarettenspitzenlanzen aufeinander.
    Schönicke hielt eine Ansprache, in der viel von deutscher Treue und deutschem Geist die Rede war. Nachher war er ziemlich betrunken, weil alle mit ihm anstießen. So fiel ihm nicht auf, daß Kitty, ihrer Gewohnheit entsprechend, schwieg. Sie lächelte, aß und trank und rauchte, und manchmal warf sie einen Blick zum anderen Ende der Tafel hinüber, wo L.-L. den Arm um Lauras Mutter gelegt hatte.
    Der Geiger von der Tanzkapelle hatte sich als Zigeuner verkleidet.Er tänzelte um den Tisch und spielte, was er »lustige Weisen« nannte. Die Mitglieder der Schützenkapelle hatten ihre Instrumente in eine Ecke des Zeltes gestellt, die Röcke ausgezogen und sprachen den Getränken und Speisen zu. Ihre Stirnen glänzten. Es war heiß im Zelt, obwohl die Bahnen an den Enden aufgeklappt waren.
    Der Tag endete mit einer Überraschung. Am Abend, die Sonne war untergegangen, aber es wurde um diese Jahreszeit fast nie richtig dunkel, verkündete der Lautsprecher:
    »Meine Damen und Herren, die letzte Kinovorstellung! Strömen Sie bitte zahlreich in unser Lichtspieltheater. Unwiderruflich letzte Vorstellung. Wir zeigen, aus Paris importiert, ›Die Reise zum Mond‹. Und ›Die Eroberung des Nordpols‹, von dem berühmten französischen Regisseur und Produzenten Méliès. Diese Filme wurden noch nie in Deutschland gezeigt« – was wahrscheinlich nicht stimmte –, »wir laden Sie ein zur Premiere.«
    Der Mann, der die Durchsage machte, es war Werner Spiehr, erhob die Stimme: »Und nun, meine Damen und Herren, die zweite Überraschung. Die Tänzerin Kitty van Delft vom Wintergarten Berlin wird ihren Ausdruckstanz vorführen: ›Im Serail‹. Kommen Sie jetzt. Die Vorführung beginnt in fünf Minuten!«
    Ich saß zwischen Lieschen Radke und Mariechen, ihrer – inzwischen auch meiner – Freundin. Das Licht ging aus, Scheinwerfer richteten sich auf die Leinwand. Wieder einmal intonierte Werner Spiehr »Salome«:
    Salome – schönste Blume des Morgenlands.
Salome – wirst zur Göttin der Lust im Tanz!
Salome – reich den Mund mir wie Blut so rot –
Salome – deine Küsse sind süßer Tod!
    Ein paar Betrunkene sangen den Refrain mit. Von der Seite trat Kitty in den Lichtkegel. Zum ersten Mal sah ich sie ohne Zigarettenspitze. Sie trug eine Art Türkenkostüm, aus Schleierstoffdie Pumphosen, einen glänzenden Büstenhalter. Auf dem Kopf saß ein Turban mit

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