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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Angelegenheit mit Leberecht Lehmann.
    »Lächerlich«, sagte dieser. »Kittys Tanz war ein spontaner Einfall. Sie hat keine Gage dafür genommen. Geben Sie her, den Wisch. Ich kümmere mich darum.«
    Das Endergebnis war, daß die Angelegenheit wegen Geringfügigkeit niedergeschlagen wurde. Doch mußte mein Vater, als der Veranstalter, Vergnügungssteuer entrichten. Schönheitstänze wurden zu einem anderen Satz besteuert als Filmvorführungen.
    Die Filmvorführungen betreffend, kamen wir nicht so leicht davon. Es stellte sich heraus, daß L.-L. die Spule mit einem Teil des Nordpol- oder Mondexpeditionsfilms durch Beziehungen direkt aus Paris bekommen hatte. Der Film lief nicht im offiziellen Verleih, und er war deshalb auch nicht der Zensurbehörde vorgelegt worden. Wir erhielten eine Verwarnung des Reichsverbandes der Lichtspielhaus-Besitzer und wurden zu dreihundert Mark Geldstrafe verknackt, widrigenfalls soundsoviel Tage Haft.
    »Das ist der Dank des Vaterlandes«, sagte mein Vater.
    Es stellte sich heraus, daß wir dem Verband der Lichtspielhaus-Besitzer – vielleicht nannten sie sich auch Lichtspieltheater-Besitzer – gar nicht angehörten. Das Kino war als Anhängsel der Schützenhaus-Gaststättenbetriebe gelaufen, seit jenen Tagen, da wir die Vorführungen für Kinder im kleinen Saal veranstalteten.
    Zum ersten Mal richtete sich in dieser Zeit die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf Joachim, jetzt erkannten sie, daß er, das Kind, der »Kleine« mit der Brille, immer die treibende Kraft gewesen war. »Es ist dein Kino«, sagte unser Vater, und Erstaunen lag in seiner Stimme. Wahrscheinlich entdeckte er in diesem Augenblick seinen Sohn als heranwachsenden Menschen, mit dem in Zukunft gerechnet werden mußte. Vielleicht sogar am Skattisch. Die Zulassung zum Kartenspiel ersetzte jene Rituale, die uns aus völkerkundlichen Filmen von fernen Eingeborenenstämmen vertraut waren.
    In diesen Wochen entschied sich, daß Joachim der Kino-Macher war. Auf Anraten Lehmanns wurde der Kinokomplex von den Schützenhaus-Betrieben gelöst und eine eigene Firma gegründet: Schützenhaus-Lichtspiele offene Handelsgesellschaft. Joachim, als Minderjähriger vertreten durch unseren Vater, hieltvierzig Prozent, Sternchen Siegel, Werner Spiehr und Leberecht Lehmann waren mit je zwanzig Prozent beteiligt. Es war L.-L.s Idee gewesen, Sternchen und Werner mit hineinzunehmen, »damit sie das Interesse nicht verlieren«. Lehmann, früher selbst Filmtheater-Besitzer, ging als Filmkaufmann durch, was die Handelskammer beruhigte, meinte er. Der Hauptgrund schien mir jedoch, daß ihm Kintopp Spaß machte. Nun war er wieder drin, mit weniger Geld und weniger Verantwortung als vorher.
    Die Anteile für Sternchen streckte mein Vater vor. Sternchen brauchte einige Zeit, bis er seinem Vater verständlich gemacht hatte, daß er, Sternchen, nicht die Laufbahn eines Textilkaufmanns einschlug. Der alte Siegel kam sogar einmal zu uns heraus. Ein kleiner Mann, der einen dunklen Paletot trug. Er schnüffelte den Saal ab, indem er von hinten nach vorne und von vorne nach hinten trottete, wobei er den Kopf schüttelte. Dann nahm er in der Gaststube Platz und bestellte eine Selters. »Das Glück der Kinder«, sagte er zu meinem Vater. »Werd’ ich im Weg stehen?«
    Herr Siegel zückte die Brieftasche und entnahm ihr ein Bündel Banknoten. »Für den Anteil«, sagte er. »Was Se haben vorgestreckt, Herr Pommrehnke.«
    Mein Vater nahm das Geld und verbeugte sich. Sternchen fuhr seinen Vater im Hanomag Kommißbrot zum Bahnhof. Wir sahen, wie der alte Siegel immer noch den Kopf schüttelte.
    Ausnahmsweise möchte ich in diesem Zusammenhang über meine Empfindungen sprechen. Ich freute mich für meinen Bruder und daß die Filmangelegenheit eine günstige Wendung genommen hatte. Ich freute mich vor allen Dingen, daß die Erwachsenen ihn anerkannten, daß sie – endlich – erkannten, wer die Kintopp-Angelegenheit bewegt hatte, all die Jahre. Doch zugleich sah ich deutlich meine Rolle. Ich war und blieb der Jüngere, der kleine Bruder. Als die geschilderten Ereignisse sich abspielten, war ich ungefähr vierzehn Jahre alt. Das galt nichts. Um meine Zukunft kümmerte sich niemand, kaum einmal fragte jemand, was ich einmal werden wolle. Solche Fragenwurden am Rande gestellt, aus Höflichkeit, wenn man mit Kindern nichts zu reden wußte. Was willste einmal werden? Lokomotivführer?
    Machte ich mir selbst Gedanken über meine Zukunft? Ich glaube, in jenem Augenblick

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