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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Vielleicht wollten alle teilhaben an jenem Glanz, den die Zeitungen erfanden. Gehörten wir nicht in dieses wunderbare, elegante, aufregende, manchmal ein bißchen schlüpfrige Berlin? Dieses Berlin, das wir auf den Wochenschaustreifen sahen, das jene Magazine schilderten, die Lauras Mutter las? »Hallo, du süße Klingelfee« und »Salome, deine Küsse sind süßer Tod«.
    Schließlich ereilte es unseren Vater. Wir hatten uns daran gewöhnt, daß er und Tante Deli ein Paar abgaben. Hätte uns jemand gefragt, ob sie verheiratet seien, würden wir wahrscheinlich guten Gewissens mit Ja geantwortet haben. Die Umstände waren uns vertraut, von klein auf, an unsere Mutter erinnerten wir uns kaum mehr. Anneli war keine Cousine, sie galt als Schwester. Tante Deli schmiß den Haushalt und eigentlich auch die Kneipe, seit mein Vater sich wieder öfter ins Bett zurückzog. War Tante Deli uns »wie eine Mutter«? Wir wußten es nicht, Vergleichsmöglichkeiten fehlten uns. Wie war eine Mutter? Benahm eine Mutter sich wie Huberts Frau? Mathilde, des Bierfahrers Töchterlein, kroch in der Kneipe auf dem Fußboden, die Bretter dunkel und von Bier getränkt, sie bewahrten seit Jahrzehnten dumpfen, hefegeschwängerten Destillengeruch. Klein-Mathilde kroch, oder, wie ihre Mutter es formulierte, sie krabbelte. Und zerfetzte Bierdeckel.
    Wir vermißten »die Mutter« nicht. Tante Deli sorgte für unser, wie sie sagte, »leibliches Wohl«, feststehende Redensarten benutzen sie alle.
    Nach Joachims Schulabgang mit mittlerer Reife gelang Tante Deli ein unvergeßlicher Monolog. In der Tür zwischen Küche und Gastzimmer stehend, die Arme unter den Brüsten verschränkt, sagte sie: »Es geht mich nichts an, oder? Doch wenn du mein Kind wärst, würde ich dich übers Knie legen und versohlen. Ich würde dir die Hosen strammziehen und dir ein paar mit dem Rohrstock überbraten. Oder, noch gescheiter, ich würde dir die Hosen runterziehen und dir mit der siebenschwänzigen Katze ein paar pfeifen, daß du denkst, Ostern und Pfingsten fallen auf einen Tag. Ich weiß, ich weiß. Dem jungen Herrn kann man so was nicht antun. Der Herr Kinobesitzer, oder?«
    Ihr »oder« fügte sie fragend ein, erwartete aber keine Antwort. Joachim saß auf einen Stuhl gefläzt am Stammtisch und schob seine Brille mal rauf, mal runter.
    »Ich verlange nicht, daß du auf mich hörst«, fuhr Tante Deli fort. »Aber erlaube, daß ich mir Luft mache. So viele Jahre kümmere ich mich um euch Lümmels. Seit eure Mutter … Na. Oder? Du hattest eine Chance, Joachim. Abitur. Studium. Was hättest du werden können, Architekt, Arzt. Die anderen werden über dich lachen. Ja, höre mir zu! Über dich lachen werden sie eines Tages, schicke Studenten mit avec, und du mit deinem Flohkino! Falls es dann noch existiert. Und wenn es existiert, dank deinem Vater, der immer wieder Geld investiert in … in … in dieses Steckenpferd. Weiter ist es nichts. Ein Steckenpferd, ja. Und alle die Schleimscheißer, die hier herumlungern und sich satt essen und Bier saufen, alle, die so tun, als sei das ihre Erfindung! Einer klimpert ein bißchen auf dem Klavier und drechselt hübsche Worte, bis die Backfische aus der Laubenkolonie seufzend hintenüberfallen. Der andere nuddelt ein bißchen an den Apparaten, dann setzt er sich in seinen Hanomag, dreht die Mütze um und ab, heidi. Das ist euer Kintopp. Oder?«
    Joachim sagte nichts, mein Vater döste oben im Bett, Sternchen und Werner waren nicht da, konnten sich folglich nicht verteidigen.
    Sie hätten es, glaube ich, ebensowenig getan wie Joachim.Tante Delis Worte erreichten ihn nicht, ich sah es seinem Gesicht an. Sie merkte es auch und drehte sich um. »Blast mir alle den Hobel«, murmelte sie und verschwand in die Küche. Ihr Hinterteil hatte sich gerundet, ich bemerkte es zum ersten Mal, Vaters Freundin war – rundum rund. Ich war an dem Punkt angelangt, wo ich mir hätte vorstellen können, was die beiden miteinander trieben, nachts, in diesem oder jenem Schlafzimmer. Aber so etwas stellte man sich damals nicht vor. Im tiefsten Innern war ich, wie fast alle Kinder – und die Kindheit reichte weit! –, überzeugt, daß geschlechtliche Vereinigungen der Eltern zahlenmäßig der Anzahl der Kinder entsprachen. Einmal pro Kind, Schluß. Es machte uns Mühe, bereits dies zu akzeptieren. Später waren Eltern dermaßen erwachsen, daß wir ihnen jene Handlungen nicht mehr zutrauten, von denen Sünderinnen wie Lieschen Radke

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