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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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die Kopfhörer ab, hielt einen gekonnt ans Ohr. »Miserabler Empfang«, murmelte er. Wir verbanden, seinen Anordnungen folgend, die Antenne, die immer noch draußen in den Bäumen hing, mit dem Apparat, es handelte sich, belehrte uns Lydias Freund, um einen Detektor. Schließlich rissen wir einander die Kopfhörer aus den Händen, deutlich hörten wir Musik. »Wirklich«, bestätigte Tante Deli, Anneli ließ sich zu einem »fabelhaft« hinreißen. Sie war in dem Alter, wo sie alles entweder fabelhaft oder »unter aller Sau« fand. Unser Vater befahl erst mal »Ruhe im Beritt«, dann lauschte er. »Richard Tauber singt«, sagte er andächtig.
    Joachim lief um den Tisch herum, mit kurzen Schritten, seine Art zu gehen. Er machte nie lange Schritte. Heute meine ich, den Gang hat er sich in der Vorführkabine angewöhnt. Über den Hof, über die Wiese ging er mit diesen kurzen Schritten, man hätte ihn erkannt, wenn er Kopf und Oberkörper in einen Sack gesteckt hätte.
    Er lief um den Tisch herum und grinste, als sei ihm die Apparatur namens Detektor seit langem bekannt.
    Er und Lydia kamen mehrmals auf diese Vorführung zurück. »Was nützt das Ding in einem Gasthaus, wenn nur einer hören kann?« fragte Joachim. »Überdies experimentiert der Film mitAnlagen, wo Tausende den Ton hören können. Stellt euch vor: eine Leinwand im Freien, dreißig Meter hoch. Tausende sitzen in einer Art Stadion, wie der Sportpalast, ohne Dach. Sie sehen das Bild auf der Leinwand. Und der Ton läuft, daß alle es hören können. Alle die Tausende.«
    Dies fand statt, bevor es einen brauchbaren Tonfilm gab. Joachim neigte, auf seinem Fachgebiet, zu Visionen. In vielem, sehe ich heute, behielt er recht.
    Wer hätte sich damals ein Freilichtkino vorstellen können, mit Riesenleinwand, Autos, die hineinfuhren?
    Realistischer verhielt sich Lydia. Sie ruinierte Hannemanns Schmalztolle im Vorbeigehen, gleichzeitig stieß sie mit ihrer Hüfte gegen Hannemanns Schulter. »Du kaufst mir einen richtigen;« flüsterte sie, laut genug, daß wir alle es hörten.
    Lydia meinte einen Radioapparat, wie Lehmann ihn besaß. »Abwarten und Tee trinken«, säuselte Hannemann.
    Eines Tages wurde der Rundfunkempfänger geliefert. Vater hatte den halben Geldbetrag beigesteuert, dafür wurde der Apparat zur allgemeinen Benutzung im Regal hinter dem Tresen aufgestellt. Joachim nagelte den Antennendraht an die Scheuerleiste, grüner dünner Draht, umsponnen und gewachst. Richard Tauber sang für alle. Fast immer blieb das Radio angedreht. Manche Gäste hörten hin, die anderen nicht. Gespräche verstummten, wenn Hannemann oder mein Vater oder Joachim einen Sender suchte, dann sonderte der Lautsprecher quietschende Geräusche ab. Tante Deli sagte jedesmal »muß das sein?«, erwartete jedoch keine Antwort. Klobinski in seinem Suff sang gegen unser Radio an: »O Tannenbaum, o Tannenbaum, der Kaiser hat in’n Sack jehaun.«
    Womit er bewies, daß er nicht zeitgemäß dachte. Hannemann belehrte ihn und brüllte: »Der Nationalsozialismus hat seinen Sieg auf die Fahnen geschrieben.« Hannemanns Haar glänzte im Licht der Lampe, die über dem Tisch hing.
    Klobinski wendete einen Gemeinplatz an. »Wer jlaubt, wird selig«, sagte er.
    Hannemann ballte die Fäuste.
    Überhaupt konnten mein Vater und Lydia es immer nur wenigen recht machen. Großvater, bei einem späteren Besuch, sang »Des Seemanns Los« mit:
    »Stürmisch die Nacht, und die See geht hoch, tapfer noch kämpft das Schiff. Warum die Glocke so schaurig klingt, dort zeigt sich ein Riff.«
    Großvater glänzten Tränen in den Augen. Verständnislos hefteten die übrigen Gäste ihre Blicke auf den singenden Greis. Er sah uns an mit Joachim-Augen, und unter der Brille schimmerte es feucht. »Ach, du«, sagte Großmutter, ihren Lieblingsausruf in die Einzahl transferierend. Und setzte hinzu: »Jetzt sammelt er Mützenbänder.«
    In der Tat. Beim Besuch in Lindow hatte Großvater uns seine Sammlung vorgeführt. Original-Mützenbänder vom Kanonenboot »Iltis«, untergegangen vor Tsingtau, von der »Prinz Heinrich« und vom Kreuzer »Karlsruhe«. Er korrespondierte mit Marinekameraden, sogar mit der Admiralität. Onkel Rudolph half – »er schreibt einen schönen Stil«, meinte Großvater.
    Lydia liebte Schlager. »Komm, hilf mir mal die Rolle drehn«, sang sie mit, fehlerhaft, aber froh. Hannemann blickte stolz. Mein Vater liebte Erna Sack. Die drehte er laut auf. Anneli wollte Shimmy und Charleston. Einig waren

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