Das Schützenhaus
ihm findet, ist mir schleierhaft. Aber noch schleierhafter ist mir, warum sie dir zusetzt. Sie kommt herein, und du erstarrst zur Salzsäule. Und sie merkt es nicht einmal, weil du ihr einfach Wurscht bist.«
Anneli legte ihren Arm um mich, und ich roch diesen kleinen verschwitzten Körper und den Stalldunst. Unter dem Arm hatte die Bluse einen nassen Fleck. Hätte mich das abstoßen müssen? Anneli war mir vertraut, vielleicht mehr. Ich rückte an sie heran, und wir hielten uns fest.
»Ich kann es nicht erklären«, sagte ich. »Sie ist so blond, so körperlich. Sie paßt in die Zeit. Ich fühle ähnliches, wenn ich diese BDM-Turnerinnen sehe. Rhönrad, Keulenschwingen. Das hat für mich was … «, ich suchte nach dem passenden Wort: »… was Primitives. Es ist einfach sexuell.«
Ich wollte mich losmachen, aber Annelis Arm hielt mich fest, und das Vertrautsein, das ich mit diesem zu jener Zeit groben Wort gefährdet hatte, blieb.
Anneli schwieg. Die Pferde trampelten in ihren Boxen.
13
Ein spanischer Tango – und ein Mädel wie du.« Anneli drehte die Grammophonkurbel. Da gab es einen Knacks. Die Feder war zerbrochen. Im starken Arm meines Kavalleristen-Vaters sah ich das Grammophon, er hielt es seitwärts, damit er keine Stufe verfehle beim Runtertragen. Er bestimmte das Gerät für die Müllkuhle hinten am Waldrand. »Tinneff «, murmelte er und tastete sich von Stufe zu Stufe.
Aber Anneli – Anneli hing an der Musikmaschine, mochte auch ihre Seele zerbrochen sein, in Form einer Spiralfeder, unersetzbar inzwischen, der Fortschritt nahm keine Rücksicht auf die Mechanik unseres Apparates. Anneli trug das Grammophon wieder ins Haus, polierte den Trichter, befestigte mit Klebstoff die grüne Filzhaut auf dem Plattenteller, die sich gelöst hatte.
Lydia sagte: »Wir haben das Radio, tanzen wir danach!«
Doch das Radio stand unten in der Gaststube. Tanzvergnügen mußten angemeldet werden. Nur spät, wenn die Gäste gegangen waren, bei verschlossenen Türen, drehten manchmal Lydia und Hannemann sich zu später Musik aus dem Rundfunkhaus. Hannemann in durchschwitztem Braunhemd, im übrigen aber zivil, dunkelblaue Hose mit scharfer Bügelfalte. Er schliefe nachts auf der Hose, so hielte er sie in Form, sagte Lydia. Hannemann errötete. In Uniform wagte sich nur noch Isabella in den Saal, zuerst etliche Mädchen ihrer Blondschar mit ihr, später blieben sie fort.
Warum? Joachim, mein Bruder, du hast sie verscheucht. Hast den weißen Blusenschwarm nicht haben wollen, Isabella nahegelegt, ihre Mädelschar auf andere Festwiesen zu treiben, was sie auch tat. Denn tief fühlte sie sich in deiner Schuld seit dem Zwiebeltag.
Isabellas Eltern betrieben eine Gärtnerei und Baumschule. Ihre Tochter meinte viel, wenn nicht alles über Gedeih und Verderbvon Pflanzen zu wissen, hielt damit nicht hinterm Berg – der Ausdruck stammte von Tante Deli: »Isabella hält mit ihren Kenntnissen nicht hinterm Berg.« Eingehende Beratung erfolgte beim Bepflanzen von Blumenkästen, Geranien schmückten die Brüstung der Veranda. Dank Isabellas Rat eine hängende Art, die besonders lieblich aussah, meinten beide Frauen.
Am Zwiebeltag stampfte Isabella über senkrecht stehenden frischen Lauch. Die Zwiebeln, meinte sie, würden größer, wenn man den Lauch zerstampfe. Sie bewegte ihre kräftigen, blassen Beine wie ein Maschinenmensch aus »Metropolis«, in zackigem Rhythmus, beobachtet von Joachim, der stumm am Pfeiler der Pforte zum Gemüsegarten lehnte. Er griff nicht ein, er konnte es nicht.
Manchmal kam nun auch Joachim abends in mein Zimmer. »Sie stampfte alles nieder«, berichtete er, »und in ihrem Gesicht war ein Zug …, es machte ihr Freude. Ich dachte, wie sie mich niederstampfen würde, eines Tages, in nicht ferner Zukunft. Wie sie über Filmschlangen stampfen würde, Unvölkisches vernichtend. Stimmt’s, bei einer BDM-Führerin muß man damit rechnen?«
Er erwartete keine Antwort, fuhr fort: »Ich habe ihr gesagt, sie solle sich zum Teufel scheren, mit ihrer gesamten Mädelschar. Immerhin, nachdem ich die Mädels beschimpft und ihnen Dr. Eckener hinterhergehetzt hatte, zogen sie sich ihre Kletterwesten an und fuhren davon.«
»Die blonde Schar«, murmelte ich.
»Wer sagt so was?« Joachim sah mich an. »Die Nazis machen Reklame mit Fotos, da sind die Mädchen alle blond drauf. Isabella ist blond. Ebenso ein paar von den Mädchen. Aber die meisten haben dunkle Haare. Man muß genau hinsehen. Nicht auf Reklame
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