Das Schützenhaus
Invaliden, sagen was, so wenig Nudeln? Dann fressen sie, dann rauchen sie, und dann husten sie. Ein Leben. Ach, ihr!«
Großmutter schneuzte in ein buntkariertes Taschentuch, das sie aus dem Busenausschnitt zog. Das Geheimnis einer scheinbar vorhandenen dritten Brust, die weniger wogte als die beiden anderen, war geklärt.
Anneli warf andächtige Blicke. »Ich dagegen – Mäusefäuste«, murmelte sie. Sah an sich runter, wo sich wenig wölbte unter der Bluse.
Großmutter war gerührt. Mußte die Brille hochrücken, ein paar Tränchen auffangen. »Nu heiraten sie«, sagte sie. Sah uns an, staunend, daß wir nicht fragten, wer. Fühlte sich verpflichtet zu erklären: »Ihr beide, ihr werdet jetzt verwandt.«
Verliebt, verwandt und Joachim in seinem grünen Wagen. Welcher Gedanke war mir unterlaufen? Ich blickte zu Anneli hinüber, wir erröteten beide. Ein bißchen nur, ein bißchen.Obendrein die Bilder, die durch mein Hirn zogen, ein Privatkino. Brust an Brust marschierten BDM-Mädchen vorwärts. »Der Träger und Aska-ha-ri! Heia! Heia, Safari!« Und sie waren, anderen Nachrichten und Behauptungen entgegen, alle, alle blond, und zwischen ihren Brüsten auf den weißen Sporthemden saß der Nappo mit dem Hakenkreuz.
Mir gegenüber, am auf die Gabel gewickelten Rouladefaden angepeilt, Annelis Mäusefäuste. Objekt für Mißbrauch durch Reitlehrer, diese groben Viecher. Man weiß, wie es in Reitervereinen zugeht, oder? Diesen Grobianen war Anneli ausgeliefert. Anneli, die nach Pferd roch. Hatte sie nicht berichtet, wie die Kerle umsprangen mit den Schülerinnen? »Kneif die Dattel zusammen, Kleene.« Derlei Sprüche. Entsprechende Handgreiflichkeiten gratis.
Der Faden lag längst auf dem Tellerrand, fettig, braun von Soße an einigen Stellen. Das Fleisch war kalt geworden auf meinem Teller, während ich Großmutter zuhörte, Ernstes und Heiteres, berichtet von einer Frau aus Lindow in der Mark. Während das BDM marschierte, in meiner Phantasie, mit schwingenden Brüsten …
Bevor die privaten Ereignisse über unseren Köpfen zusammenschlugen – damit war laut Joachim zu rechnen –, versetzte Leberecht Lehmann der Weltkugel einen Stoß, damit sie sich nach der anderen Richtung drehe. Er würde darauf pfeifen, sagte er, daß wir uns im Sirup privater Ereignisse suhlten. Denn er und Kitty seien das Modernste. »Wir sind das Modernste«, rief er.
Sternchen Siegel flüsterte: »Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sichs Wetter, oder ’s bleibt so, wie’s ist.« Aber Lehmann hörte nicht hin.
»Das Allermodernste sind wir. Und warum? Weil: Der Kronprinz hat ebenfalls ’ne Freundin, die Nummerngirl ist.«
Kitty lächelte, stolz trug sie den schönsten – und letzten – Bubikopf der Welt auf makellosen Schultern. Nackte Schultern, Spaghettiträger. Inzwischen gewagt, die deutsche Frau trug Blusen aus Lavable mit halbem Ärmel. Lehmann faltete seinenKörper auf eine Stuhlkante. »Erst kommen die Blusen, die Kleider und dann die Jupons voller Plu. Darauf die Dessous und so weiter, und dann, dann kam sie.«
Ende der Durchsage. Heute Lavable, bitte. Lehmann sagte: »Gerda Puhlmann heißt sie.«
Anneli nickte. »Er reitet mit ihr bei uns.« Setzte hinzu, als würden wir nicht folgen können: »Der Kronprinz mit der Puhlmann.«
»Entschuldigt.« Lehmann faßte sich an die Glatze. »Wo ist Joachim, euer Kintoppdirektor?«
Wo sollte Joachim sein? Im grünen Wagen, umgirrt von seiner Odaliske, seiner BDM-Frau. Wir liefen die Verandatreppe runter, überquerten die Wiese. Rechts von uns bullerten die Kegel, Wilfried und seine Klubkumpane übten. Ich sah Wilfried, die Hemdsärmel aufgekrempelt über dem weißleuchtenden Bizeps, die Sonne hatte nur die Unterarme gebräunt. Wilfrieds Hemdsärmel waren zu strammen Rollen gewickelt, wie auf Gemälden von Arbeitern der Faust. Das lässige Umschlagen, drei-, viermal, blieb den Jünglingen und Leisetretern vorbehalten, die am Ku’damm bei Kranzler im Vorgarten müßiggingen.
Hier leuchtete der Bizeps, wurden kraftvoll Kegel geschoben. Mollen gezischt. Angekreidet. Wilfried prostete uns zu, während wir übers Gras eilten, Kitty als letzte, die Zigarettenspitze diente ihr als Balancierstange.
Die Kinotüren standen weit offen, Orgelklänge dröhnten. Was spielte Werner? Hörte ich recht? Einen Choral. »Wo Wahn die Weisen treibét …« Ich hatte dies Lied im Konfirmandenunterricht gelernt, wider meinen Willen, weil ich es mochte, kraftvoll und nicht scheinheilig und
Weitere Kostenlose Bücher