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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Primel ohne Berieselung«, schrie Sternchen zurück. »Du bist e historischer Mensch.«
    Joachim entschied: »Die Orgel bleibt.«
    »Siehste«, sagte Werner.
    »Scheiße«, sagte Sternchen. Und fragte trotzig: »Wo bleiben de Mehreinnahmen?«
    Einen Sonntag nachmittag lang ließen wir alles liegen. In der Reithalle vom Gutshof nahm Anneli auf Berenice an einem Springturnier teil. Weder Joachim noch ich spürten jenes Reiterblut in uns, das man, angesichts der Husarentradition in unserer Familie, hätte erwarten können. Während Anneli auf Berenice die Hindernisse nahm, ihre Mutter in die Hände klatschte, mein Vater zufrieden grunzte und seine Regimentskameraden anstieß, unterhielten Joachim und ich uns leise über den Film. »Wir werden ihnen ihren Tonfilm geben«, sagte Joachim. »Aber du wirst sehen, der Tonfilm ist das Ende der Filmkunst. Ich muß es machen, aber ich will nicht. Weißt du, daß ich eigentlich nicht will?«
    Ich nickte. In diesem Augenblick, während Anneli unten den großen Ochser bezwang, Tante Deli aufsprang, die Althusaren »Bravo« riefen, wußte ich, daß ich wiederum in diesen Mahlstrom geraten war, den Joachim erzeugte. Das war nicht Kino-fexerei, abstellbar nach Belieben. Es würde für mich, ahnte ich, genauso wichtig sein wie meine Beschäftigung mit dem Flugmodellbau.
    Der Einfluß meines großen Bruders? Oder mehr?
    »Weißt du, daß sie Méliès wiedergefunden haben?« flüsterte Joachim. »Er betrieb einen Spielzeugladen, stell dir vor, auf dem Gare Montparnasse. Jetzt laufen seine Filme wieder in Paris.«
    »Stummfilme?«
    »Stummfilme.«
    Tat ich Anneli unrecht an diesem Tag? Der ein wichtiger Tag für sie war? Überzeugt war ich, daß ich sie liebte, in diesem Augenblick, als sie aus der Reitbahn kam, Berenice am Zügel, das Gesicht gerötet. Sägemehlstaub auf der schwarzen Jacke, der Samtkappe. Genauso stark spürte ich jedoch den Sog, der von meinem Bruder ausging, meinem großen Bruder. Ich liebte Anneli und liebte den Geruch des Spannlacks bei Flug-Wuttke und liebte unseren Kintopp und Joachim, den Verführer, den Starrsinnigen. Und sah zu, wie Tante Deli und unser Vater wieder Arm in Arm gingen, am Büfett der Reitbahn aus einem Glas tranken, von derselben Bockwurst abbissen, sich den Senf aus den Mundwinkeln küßten. Und das in aller Öffentlichkeit.
    Ede Kaiser meinte: »Da werden bald die Hochzeitsglocken bimmeln «
    Tante Deli errötete.
    Gut. Frauen werden leicht rot, oder? Jedoch, daß auch unser Vater errötete, Kriegsteilnehmer, Leibgarde-Husar, Reserve neunzehnhundertacht – das war neu.
    Das war schrecklich.
    Rauf auf die Leiter. Ich schraubte Platten an. »Wie ein Berserker«, sagte Werner zu Sternchen. »Was hat er?«

14
    »Reiten, reiten, reiten …« Anneli saß mir gegenüber im Gras, in den Himmel ragte ihr Kopf, die Sonne stand tief. Annelis Abstehohren leuchteten. Irgendwann hatte sie auf Rilkes »Cornet« stoßen müssen, Bindings »Reitvorschrift für eine Geliebte« lag hinter ihr. Solche Bücher schenkten ihr die Kavaliere des Reitklubs, und es wird jedem natürlich erscheinen, daß diese Geschenke in mir Eifersucht auslösten. Eine gelinde Eifersucht, denn noch war jenes Harz in meiner Seele nicht aufgelöst, das Erkenntnis verhinderte.
    Wie stand es um meine kleine Cousine und mich? Die Tatsache, daß wir wie Geschwister miteinander aufgewachsen waren, und das Wissen um ihre »Welt« im Reiterverein ließen mich annehmen, Anneli brauche mich nicht. Es paßte mir nicht, daß sie in diesen Büchern schmökerte, die Geschenke aus jener Welt waren, von der ich ausgeschlossen blieb. Aber ich erhob keine Einwände. Grimmig las ich meinerseits gegen sie an, hatte ein Buch über Lilienthal in den Garten geschleppt, den Altbewährten, und verlangte, daß die Schilderungen seiner Flugversuche in den Rhinower Bergen mich läutern würden.
    Ach, ich begriff nicht, was ich da las, obwohl mir doch alle Einzelheiten und Umstände vertraut waren. Doch schob ich diese Unfähigkeit nicht auf Annelis Gegenwart, ihre Seufzer, die ihr jene Rilke-Lektüre abverlangte. Vielmehr erkannte ich, daß der Sog, den meines Bruders Leidenschaft fürs Kino auf mich ausübte – oder den er ausübte –, eines Tages womöglich stärker werden würde als meine eigene Leidenschaft, die zum Modellflug.
    Die Erkenntnis kam blitzartig, dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, und es bedurfte meiner dringlichsten Bemühung, den Eindruck für weitere Sekundenbruchteile

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