Das Schützenhaus
Den Bart hatte er à la Wilhelm zwei in hochgewichste Enden gezwirbelt, das sah man heutzutage selten. Niemand schien ihn zu kennen, mit Ausnahme unseres Vaters, der so etwas wie ein Ohrenwackeln andeutete, das hatten wir noch nie an ihm gesehen.
Plötzlich flüsterte Anneli: »Gilas Vater.«
Der Besucher stand einen Augenblick still, bis er sich an die mangelhafte Beleuchtung gewöhnt hatte. Das Radio dudelte, mein Vater stellte es leise, behielt den Mann im Auge.
»Husar Pommrehnke!« rief der Mann, seine hohe Stimme ließ die Gäste an den anderen Tischen verstummen.
Mein Vater sagte: »Zu Diensten?«
Der Fremde stieß mit dem Stock auf. »Zu Befehl, heißt das.«
»Nicht mehr«, sagte mein Vater. »Was kann ich für Sie tun?«
»Da hört sich doch alles auf. Für mich tun! Husar Pommrehnke! Sie werden sich erinnern. Ich war Wachtmeister bei den Leibgarde-Husaren, bis … tut nichts zur Sache. Ich bin Ihr Vorgesetzter!«
»Nicht mehr«, murmelte mein Vater.
In der Küchentür sah man Tante Deli, die sich die Hände an der Schürze abwischte.
»Husar Pommrehnke«, schrie der kleine Mann, »Sie haben meine Tochter entehrt!«
Erstaunte Gesichter an den anderen Tischen; Robinson Krause trat auf den Mann zu, flüsterte: »Wenn ich bitten dürfte…« Eine Sekunde lang sah es aus, als wolle er den Stock gegen Robinson heben.
»Niemand hat hier was zu bitten. Ich habe mir was zu verbitten. Ihr schlampiges Verhältnis mit meiner Tochter Gila, Husar Pommrehnke!«
Mein Vater kam hinter dem Tresen vor, an ihm vorbei schoß Tante Deli, ihre Locken flatterten. Joachim und ich sprangen auf. Robinson stand immer noch dicht vor dem Störenfried. Im Hintergrund sah ich, daß auch Wilfried und seine Mannen sich erhoben. Sie ergriffen ihre Biergläser.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zur Gaststube. Herein stürzte Gila-Monster. »Vater! Nicht!« schrie Gila. »Es war meine Schuld!« Sie hängte sich an sein Jackenrevers. »Laß mich«, rief ihr Vater, »diese Tat gehört gesühnt!«
»Nein, nein«, rief Gila, »versündige dich nicht.«
Gilas Vater war bereits nicht mehr in der Lage, sich zu versündigen. Ich hatte ihm den Stock entwunden.
Es war höchste Zeit. Tante Deli, in einem Anlauf, der nicht zu bremsen war, verfehlte das ursprüngliche Ziel. Es gelang ihr jedoch, die vorgesehene weite Kurve enger zu nehmen. Sie prallte auf Gila. »Du, du …«, rief Tante Deli. Gila ließ das Revers von ihres Vaters Jacke fahren, doch nicht schnell genug, wir hörten, wie der Stoff riß, sahen das untergefütterte Leinen herausquellen. Eine Sekunde später hatten Tante Deli und Gila einander bei den Haaren und ohrfeigten sich. Mein Vater nahm mit der linken Hand Tante Deli in Griff, mit der rechten Gila-Monster und hielt beide auf Abstand. »So nicht«, sagte er. »Deli, ab in die Küche!«
Tante Deli gehorchte. Mein Vater ließ Gila frei: »Bring deinen Vater nach Hause. Und sag ihm, er solle sich hier nie wieder sehen lassen. Schöner Leibgarde-Husar. Der will Wachtmeister gewesen sein.«
Wir überließen Gila den ramponierten Vater, der »Unerhört!« murmelte, während sie ihn durch die Tür schob. Ich gab ihr den Spazierstock in die Hand.
In den folgenden Tagen richteten wir den großen Saal provisorisch für die Hochzeit her. »Ob wir den wohl noch brauchen?« sinnierte Sternchen Siegel.
In der Tat mußten wir seinen Gedankengängen zustimmen, wie auch Joachims Bemerkung: »Der Haussegen hängt schief.«
Tante Deli und mein Vater knurrten sich an wie zwei Hunde. Mein Vater bezog wieder seine Bettenburg, oblomowte vor sich hin – dieses Verb hatte Anneli erfunden – und beschimpfte Tante Deli, sobald er ihre Schritte vor der Tür hörte. Sie ließ es sich niemals nehmen, für einen kurzen Monolog zu verharren, den sie gegen die als Faschinen aufgerichteten Zeitungen hielt, hinter denen sie richtig meinen Vater vermutete. »Wer ist der Esel?« fragte sie scheinheilig. Eine Antwort erwartete sie nicht. So fuhr sie gleich fort: »Der Esel ist Herr Pommrehnke. Walter Pommrehnke. Der treue Husar! Daß ich nicht lache! Der Herr vergnügt sich mit der feinen Wachtmeisterstochter. Und muß sich herunterputzen lassen. Ein Wunder, daß er nicht Liegestütze machen mußte. Das hätte unseren Gästen gefallen. Heute abend gehn wir aus, ’s gibt Liegestütz im Schützenhaus. Wie wäre das als Reklamevers?«
Pommrehnke, unser Vater, griff unters Bett und holte einen Pantoffel vor. »Verzisch dich, oder …«,
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