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Das Schützenhaus

Das Schützenhaus

Titel: Das Schützenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Kassenhäuschen – weg damit!« Er zog mich am Ärmel vor den Saaleingang: »Die linke Hälfte bleibt sowieso stehen, weil leider die Vorführkabine Massivbau ist.«
    »Zu sein hat«, sagte ich, »wegen der Brandschutzeinrichtungen. Du weißt, die Entflammbarkeit von Nitrofilm …«
    »Alter Käse«, sagte Werner. »Unsere neuen Apparate sind verkapselt, da springen keine Flämmchen raus. Wenn der Filmvorführer sich keine Zigarre ansteckt…«
    »Ja, wenn er. Vielleicht kriegt er auch eine gescheuert, und die Funken fliegen ihm aus den Augen.«
    »Du mußt es wissen«, amüsierte sich Werner. »Ihr habt alle total private Erlebnisse gehabt, da oben. Denkst du, das wäre mir entgangen?«
    Ich konterte: »Und die Mädels, die schief und krumm herumlaufen, weil du sie in Sternchens Hanomag vernascht hast?«
    Werner hob die Hände. »Eins zu eins«, sagte er.
    Das Schützenhaus glich einem Ferienlager. Anneli und ich waren ausquartiert worden, Joachim gewährte uns Obdach, seine aus der »Edda« entsprungene Odaliske blickte auf uns nieder, als seien wir Ratten, die ihren Weltenbaum benagten. »Äußerst gemütlich«, brummelte sie. Ich sagte, daß der Führer ihr weitaus stärkere Ungemütlichkeiten zumuten würde, demnächst, wenn sie mit fünf anderen Miezen im Lagerzelt pennen würde, aber da empfand sie wohl die mitverordnete Weltanschauung als erleichternden Umstand. Völlig erstarrte sie, als auch noch Lydia, Bettzeug unter dem Arm, die Treppe zum Waggon erklomm. »Eure Oma«, japste sie. »Die will unbedingt in meinem Zimmer wohnen.«
    Isabella höhnte: »Gebt doch Oma und Opa den Waggon. Es kommen ja noch mehr Gäste ! «
    Die letzten Worte rief sie uns nach, Joachim, Anneli und ich rannten zum Schützenhaus rüber, um Oma und Opa zu begrüßen, die soeben, von Ede Kaiser abgeholt, aus Lindow eingetroffen waren.
    Oma preßte uns drei an ihre Brüste, wir hatten alle Platz. »Ach, ihr«, sagte sie ein Dutzendmal hintereinander, immer in anderer, uns wohltuender Betonung. Opa grinste, und auf seinem einen Brillenglas funkelten Lichtreflexe. »Laß die Jugend los«, rief er. »Det sind nu keine Kinder mehr.«
    Auch Onkel Rudi war mitgekommen und sein Kamerad aus der Fremdenlegion, der zur Familie Kaiser gehörte. »Nennt mich Bruno«, rief er, aber er hatte ein bißchen zu laut gerufen und mußte husten.
    Gut. Bruno. Wo schlief er? Isabella hätte die Betten verteilenmüssen. Doch erklärte Ede Kaiser: »Die Fremdenlegion bringe ick bei mir in der Laube unter. Das ist Husarenpflicht.«
    »Eskadron – abgesessen!« kommandierte mein Vater, der auf der Verandatreppe erschienen war. Oma winkte ihm, bestand darauf, auch ihn, ihren Sohn, ihr ein und alles, an die Brust zu pressen.
    Opa sagte: »Wird nich bald aufjebackt?« Er hatte Hunger. Dann küßte er Tante Deli, die sich die Hände wieder einmal an der Schürze abwischte. »Kind, wie fühlste dir?« fragte Opa.
    »Bongforzionös, wie sie hier sagen.« Tante Deli senkte ihre Stimme. »Und weißt du, warum? Wir haben soeben ein Monster verjagt.«
    Opa ruckelte mit der Hand an seiner Brille, aber er sagte nichts weiter. Zufällig stand Joachim neben ihm. Die Ähnlichkeit war wirklich lächerlich.
    Wem mochte ich ähneln? Unserer Mutter, die auf dem Foto oben in der Stube mit dem Geweihleuchter glasigen Auges in die Kamera sah? Ich sollte meinen Vater fragen, ob sie Anlage zu Basedow hatte oder ob ihr vom Fotografen befohlen worden war, für eine längere Belichtungszeit die Augen offenzuhalten. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, daß wir Tante Deli zur Familie zählten, nicht erst neuerdings anläßlich dieser Hochzeit. Sie hatte tatsächlich Mutterstelle vertreten. Joachim, zwei Jahre älter als ich, mochte von Erlebnissen geprägt sein, an die er sich mehr oder weniger erinnerte. Für mich hatte unsere Mutter keine Rolle gespielt.
    Wie sollte sie auch. Trotzdem berichtete ich niemandem von dieser Erkenntnis, im Bewußtsein, das wäre unschicklich gewesen. Eines Tages würde ich Anneli über ihren nichtvorhandenen Vater ausfragen und welche Perspektive sie zu dem sie betreffenden Mangel hatte.
    Dachte sie über den dunklen Punkt ihrer Herkunft nach? Warf sie ihrer Mutter vor, daß sie, je nach Bedarf, einen neuen Vater erfand? Oder gab es zwischen Mutter und Tochter einen geheimen, privaten Vater, und nur die Öffentlichkeit wurde, mehr oder weniger absichtlich, im unklaren gelassen?
    Oder war Anneli das alles schnurzpiepegal?
    Der festliche Tag nahte heran,

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