Das Schützenhaus
privilegierte Gäste drängten in die anderen Gefährte. Joachim und seine Odaliske fuhren auf Fahrrädern. Sie trug, als einzige, die Uniform der neuen Zeit: weiße BDM-Bluse, blauer Rock. Isabellas Zöpfe lagen fest und schwer auf ihrem Rücken wie die Raupenketten von Kürassierhelmen.
Die Kolonne bog auf die Chaussee zur Stadt ein. Die Schützen intonierten von neuem einen Marsch. Ich fuhr mit Sternchen Siegel im Hanomag. Wir bildeten den Schluß der Kolonne.
Das Jawort wurde gegeben, Ringe wurden getauscht, Großmutter weinte kugelrunde Tränen, und Großvater suchte im Rathaus das Klo. Dann zappelte sich ein Fotograf ab bei dem Versuch, die verschiedensten Gruppen, mit oder ohne Brautpaar, zu Fuß, zu Pferd oder in Kutschen auf die Platte zu bannen. Die Husaren zogen Flachmänner aus den Taschen und tranken dem Brautpaar zu. Tante Delis Blumenstrauß welkte in der Hitze. Nur ein paar weiße Gladiolen blieben in Form. Das bemerkte ich damals nicht, doch besitze ich eins der Fotos. Auf dem Foto ist deutlich zu sehen, daß die übrigen Blumen welk herabhängen. Nur die Gladiolen leuchten unverdorben.
Anneli erhielt einen Sonderapplaus. Sie ritt im Damensattel auf Berenice vors Rathaus, langer, grauer Rock, schwarzes, tailliertes Jäckchen, Zylinder. Der Zylinder war ihr ein bißchen groß, aber das machte nichts, Annelis Abstehohren hielten ihn. Berenices Zaumzeug war mit Margeriten geschmückt, daran erinnere ich mich, auch ohne Foto.
Beugt sich Anneli über meine Schulter und bestätigt, daß die Erinnerung mich nicht trügt?
Die Tafel war im Kinosaal gedeckt, feinster Damast ausOmas Beständen, Blumen- und Myrtenschmuck. Fast hundert Geladene. Eine große Hochzeit. Außer den bekannten und bisher nicht bekannten Familienmitgliedern und Freunden wie L.-L. mit der in ein knappes Goldlamekleid gepreßten Kitty entdeckte ich die Gruppe der Husaren. Wilfried mit Kumpeln und blassen, heiteren Mädchen, der Schützenkönig, Bierfahrer Hubert mit Frau und Sohn Hannemann – dieser in Zivil –, Portier Radke, der wütend Zigaretten paffende Fremdenlegionärs-Onkel, unser Polier – kurzum, alle, alle gaben dem Brautpaar die Ehre.
Leberecht Lehmann klopfte ans Glas, solange es noch Zeit war, denn in der Hitze sprachen die Gäste den Getränken eifrig zu.
»Liebes Brautpaar, liebe Freunde«, rief Lehmann, und Werner intonierte auf der Kinoorgel einen Tusch, »liebe Freunde. Der Anlaß, der uns hier vereint, ist ein erfreulicher. Jahrelang profitierten wir von dem Charme und der Großzügigkeit unserer Schützenhaus-Wirte. Heute können wir sie als Wirtspaar bezeichnen. Mögen uns noch viele Jahre vergönnt sein, in den Etablissements des Ehepaars Pommrehnke, als Kinogäste’ in diesem Saal, in dem wir feiern, wo sich die neue Epoche des Tonfilms vorbereitet, dank unseres lieben Joachim und seiner Freunde, zu denen ich mich, jawohl, mit meiner lieben Kitty hier rechnen darf.«
Bravorufe, Klatschen. Werner legte auf der Orgel den fünften Gang ein, das heißt, er zog alle Register, die ersten Takte von Mendelssohns Hochzeitsmarsch ertönten. In die folgende Stille hinein sagte L.-L.: »Ich danke. Wir alle danken. Und wünschen Glück.«
Er ging um den Tisch herum und küßte die Braut. Alle riefen »Prost!«. Und Werner hieb wieder auf die Orgel ein.
Sommergäste mischten sich unter die Hochzeitsgäste, die Lohnkellner flitzten. Später fuhr ein Wagen der Brauerei Schultheiß Patzenhofer vor, von sechs Rössern gezogen. Huberts Kollegen luden Bierfässer ab und rollten sie in den Saal. Ein Geschenk der Brauerei. Freibier für alle! Wilfried und seine Cliquebesetzten die Kegelbahn. Lieschen Radke lag, im lila Kleid, auf der Pritsche vom Schießstand und ballerte, zur Freude der Gilde-Schützen, eine Serie herunter. Die Scheiben zeigte sie uns. Schönicke sagte: »Im nächsten Jahr werden wir keinen Schützenkönig, sondern eine Schützenkönigin bekommen.«
Werner nannte Lieschen »das Schulschiff«, er meinte, wir alle hätten auf diesem Schulschiff gelernt, wie man einen Knoten spleißt.
Der Nachmittag senkte sich auf die Festgesellschaft hernieder. Erste Schnapsleichen lagen am Waldrand, von gnädigen Samariterinnen in buntleuchtenden Kleidern betreut. Ein Storchenpaar flog gemächlich über den Festplatz. Trotz des fortgeschrittenen Alters unseres Brautpaares wurde das als Orakel angesehen. »Werdet sehen, Pommrehnkes bekommen noch was Kleines.«
Es stellte sich später heraus, daß die Störche
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