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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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näher und drehte den Schirm zur Wand. Dann klappte er sein Powerbook auf. Er konnte nicht länger warten. Er musste Reverdi schreiben – seine Niederlage eingestehen und irgendwie versuchen, den Mörder milde zu stimmen.
    Jeder Gedanke an eine Rückkehr nach Paris hatte sich verflüchtigt. Seine Angst vor Jimmy Wong-Fat ebenfalls. Undenkbar, dass sein Betrug aufflog. Und von diesem perversen Vatersöhnchen hatte er wohl kaum etwas zu befürchten.
    Ohne zu zögern, schrieb er drauflos – er musste nur auf sein Herz hören und kein Hehl machen aus seiner Enttäuschung, seiner Verbitterung, seinem verzweifelten Bemühen, sich richtig zu verhalten, das ihn in eine Sackgasse geführt hatte: Berauscht von seinen – Elisabeths – Worten, flehte er – sie – Reverdi um eine zweite Chance an.
    Eine halbe Stunde später war ihm wohler. Wie getröstet durch die Identifikation mit dieser jungen Frau, die nicht verlassen werden wollte. Auch wenn ihn jedes Wort schmerzte, weil es ihm sein Versagen vor Augen führte, genoss er diese Intimität, diese geistige Verbindung, die ihm erlaubte, ganz unverblümt über das eine Thema zu reden, das ihn am meisten interessierte: das Geheimnis eines Mörders.
Er hörte die Tür ins Schloss fallen.
Er blickte sich um, sah das Zimmer, die fensterlosen Wände,das zerwühlte Bett. Miam-Miam war davongeflogen. Die Mail an Reverdi hatte ihn derart gebannt, dass er gar nicht gemerkt hatte, wie sie aufgestanden war, sich angezogen, nach ihrer Handtasche gegriffen hatte …Es dauerte einige Sekunden, bis ihm die beunruhigende Wahrheit aufging: Statt noch einmal diese Prostituierte zu vögeln, zog er es vor, Jacques Reverdi zu schreiben.
    Lieber war er Elisabeth Bremen als Mark Dupeyrat.
KAPITEL 44
    »L’Axe« war eines der trendigsten Lokale von Paris. Khadidscha hatte schon davon gehört und fürchtete das Schlimmste. Doch der erste Eindruck war überraschend angenehm: ein weiter, schlichter weißer Raum, unterteilt in verschiedene offene Lauben. An der Wand gegenüber verlief eine schmale Theke.
    Die klaren Linien erinnerten sie an den lang gehegten Traum, eines Tages die Kapelle in Ibaraki, Japan, zu besichtigen, die sie nur von Fotos kannte: Der Architekt Tadao Ando hatte in der Rückwand eine senkrechte und eine waagrechte Öffnung gelassen, sodass die einfallende Sonne ein Kreuz zeichnete. Eine wunderschöne Idee, fand Khadidscha: ein Kreuz aus reinem Licht. Sobald sie das nötige Geld beisammen hätte, wollte sie nach Japan fliegen und diese Kapelle besuchen. Das war ihr geheimes Ziel.
    Vincents Rülpsen riss sie aus ihrer Träumerei.
»Verzeihung«, sagte er. »Kleines SOS meines Organismus.« Er reckte den Hals. »Was fällt denen ein, uns so lang hierrumstehen zu lassen …«Sie befanden sich im spärlich beleuchteten Vestibül, in dem die Neuankömmlinge wie in allen In-Restaurants erst einmal warten mussten, voller Furcht, womöglich einen schlechten Platz zu bekommen oder, schlimmer noch, abgewiesen zu werden. Khadidscha hingegen war völlig sorglos. Sie wäre mit Vincent überall hingegangen. Sie war nur gespannt zu erfahren, was er an diesem Abend eigentlich feiern wollte.
    Sie bekamen einen der besten Tische, in einer mit einem hölzernen Spalier abgetrennten Laube, in der es angenehm nach Harz duftete.
    »Ich sag’s dir lieber gleich«, warnte Vincent, während er sein Sakko auszog, »hier geht es ziemlich asketisch zu. Die Portionen fallen eher in die Kategorie ›Anonyme Magersüchtige‹.«Khadidscha fand ihn immer sympathischer. Hünenhaft, stämmig und sehr direkt, schien es ihm einen Heidenspaß zu machen, den Leuten auf den Wecker zu gehen. Immer hatte er Flecken auf dem Hemd und Schweißränder unter den Achseln. Und verbreitete einen Geruch, der das Gegenteil der raffinierten Düfte war, für die er die Werbefotos machte. In den Kreisen der Haute Couture war Vincent ein permanenter Stein des Anstoßes, der sich unter keinen Umständen aus dem Weg rollen ließ.
    Khadidscha las aufmerksam die Speisekarte und amüsierte sich über die originellen Zusammenstellungen nicht nur von Geschmacksrichtungen, sondern auch von Wörtern und Sprachen, die exotische Kräuter mit rustikalem Salat verknüpften, klassische Fleischgerichte mit süßen Gewürzen bereicherten, Ostseefische mit tropischem Gemüse kombinierten.
    Sie war ja selbst ein Produkt dieser multikulturellen Stilmischung. Sie war nie im Maghreb gewesen, garnierte aber mit Begeisterung ihr gewöhnliches Outfit,

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