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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Jackett und Jeans, mit Ethnoelementen und Accessoires aus der Wüste – schwerem Silberschmuck, moirierten Kasackblusen, betäubenden Parfums auf Jasmin- und Moschusbasis … Zur Feier des Abends hatte sie sich sogar die Finger mit Henna gefärbt.
    »Weißt du schon, was du nimmst?«
»Ich verstehe nur die Hälfte.«
»Soll ich’s dir erklären?«
»Nein, völlig egal.«
»Snobistischer als die Snobs, wie?«, sagte Vincent mitsarkastischem Lächeln.
»Ich halte mich raus, weiter nichts. Weißt du, ich bin aus Gennevilliers. Aus einer Trabantenstadt, die bei ihren Bewohnern ›Die Banane‹ heißt. Alles klar, oder? Ich versuche mein Glück als Model, um Kohle zu verdienen, nicht um eine andere zu werden.«Vincent stieß mit ihr an – er hatte einen eisgekühlten Cocktail bestellt, der in einem Glas mit Salzrand serviert worden war. »Auf ›Die Banane‹!«Bei der Gelegenheit fiel Khadidscha eine Einkerbung am Ringfinger seiner linken Hand auf, die sie zum ersten Mal bemerkte.
    »Warst du verheiratet?«Mechanisch betrachtete Vincent seine Finger. Ein Schatten huschte über sein Gesicht. Er nickte langsam.
»So schlimm?«
»Sagen wir so – ein Spiel, bei dem ich mir die Finger verbrannt habe.«
Khadidscha schwieg und wartete. Sie ahnte, dass noch mehr kommen musste. Tatsächlich fügte Vincent hinzu:
»Die Ehe war für mich eine Art Verbrennungsreaktion.«
Sie schlug einen ironischen Ton an, um der drohenden Schwere ein wenig von ihrem Ernst zu nehmen: »Originelle Metapher.«
»Keine Metapher, sondern praktische Erfahrung.« Er blieb bei seinem ernsten Ton. »Im Lauf der Jahre verbrennt alles zwischen Mann und Frau, die Liebe verzehrt sich. Ich meine: ihre besten Eigenschaften. Eines Tages wachen sie zwischen Asche auf.«
»Aber wieso ›Verbrennungsreaktion‹?«
»Weil die widerstandsfähigsten Stoffe, die nicht entzündlichen Teile erhalten bleiben. Hass. Verbitterung. Groll. Und Angst. Als ich Reporter war, habe ich dauernd über Katastrophen berichtet. Flugzeugabstürze, Explosionen von Fabriken. Zurück bleibt immer das schwarze Stahlskelett, unverwüstliches Zeug, das den Flammen standhält. Daran erinnert mich meine Ehe.«
Der Kellner kam, und sie bestellten. Als er wieder fort war, betrachtete Vincent den Boden seines Glases, drehte es hin und her und betrachtete die kreisrunden Lichtreflexe.
»Eines habe ich immerhin begriffen«, murmelte er, »die Frauen tragen die Liebe in sich.«
»Und die Männer etwa nicht?«
»Nein. Die Frauen haben dieses heilige Feuer. Sie ›glauben‹ an die Liebe, wie Fundamentalisten an Gott glauben. Egal, wie die Frau drauf ist, egal, welche Weltanschauung sie hat, wie unabhängig sie ist und wie cool sie sich gibt – sie hat dieses heilige Feuer in sich. Manchmal sehr tief.«
Bei der wiederholten Erwähnung von Feuer überlief es Khadidscha kalt. Es kam ihr vor, als gebrauchte Vincent das Wort absichtlich so oft. Zugleich aber empfand sie ein merkwürdiges, unausgesprochenes Einverständnis mit ihm.
»Wie die Frauen der Antike«, fuhr er fort, »die Wächterinnen des Feuers, das nie ausgehen durfte.«
»Die Vestalinnen.«
»Genau.« Er zwinkerte ihr zu. »Warum haben wir nicht mehr Models wie dich?«
Der Sommelier kam fast im Stechschritt an den Tisch. Vincent nahm ihm die Flasche aus der Hand und schickte ihn kurzerhand fort.
»Jede Frau ist ein Tempel«, wiederholte er, während er einschenkte, »und hat diese Flamme in sich, die nie verlöscht.«
Khadidscha war erstaunt über die Wendung, die ihr anfängliches Geplänkel genommen hatte. Nie hätte sie gedacht, dass sie mit dem derzeit berühmtesten Modefotografen über Vestalinnen sprechen würde – Paris war doch immer wieder für eine Überraschung gut.
»Wie bist du denn drüber weggekommen, damals?«, fragte sie unwillkürlich.
Er leerte sein Glas in einem Zug. »Freund Alkohol.« Er lachte. »Nein, Quatsch. Dank einem Kumpel, mit dem ich ein paar Jahre lang ein Team war. Paparazzi waren wir. Ein infernalisches Gespann.«
Khadidscha ahnte die Fortsetzung. Ihr Puls beschleunigte sich.
»Dein rothaariger Freund?«
»Genau der. Mark Dupeyrat, auf den du ein Auge geworfen hast.«
»Ich finde ihn eher … seltsam.«
»Das ist das Mindeste, was man über ihn sagen kann. Übrigens hat auch er was ziemlich Einschneidendes erlebt.«
»Noch eine Geschichte mit ›heiligem Feuer‹?«
»Viel schlimmer als meine.«
Vincent starrte trübsinnig vor sich hin. Die Atmosphäre drohte zu einer Grabesstimmung zu verkommen.

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