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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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reagiert?«
»Gar nicht. Er wurde bewusstlos und wachte drei Wochen lang nicht mehr auf. Danach erinnerte er sich an nichts. Er sprach von Sophie in der Gegenwart. Es dauerte Monate, bis er überhaupt ihren Tod zur Kenntnis nahm. Er wurde in einer Pariser Spezialklinik behandelt, wo sie alle Register gezogen haben. Trotzdem ist ihm die Amnesie geblieben. Was er darüber weiß, hat er nur aus Erzählungen.«
»Kennt er die Einzelheiten?«
»Oh ja, er hat sich eigens darum bemüht. 1st noch einmal nach Sizilien gefahren und hat die italienische Polizei mit Fragen genervt. Er hat auch selbst ermittelt, allerdings ohne Erfolg. Im Land der Omertà hatte er keine Chance. Seither ist er wie besessen – die Frage, was einen Menschen zu derart grausamen Verbrechen bewegt, lässt ihm keine Ruhe. Am Anfang versuchte er sich in den Griff zu kriegen, indem er, wie ich damals, Paparazzo wurde. Später sattelte er auf Gerichtsreporter um. Das war der einzige Weg für ihn.«
»Wohin?«
»Um zu begreifen, wie einer seiner Frau das antun konnte.«
Khadidscha konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, und es quälte sie die entsetzliche Erkenntnis, dass sie eifersüchtig auf eine Tote war. Vincent zwang sich zu einem Lächeln. Seine Stimme war schwer vom Wein.
»Mach nicht so ein Gesicht«, sagte er. »Auf seine Weise hat Mark sein inneres Gleichgewicht wiedergefunden. Zugegeben, es ist ein labiles Gleichgewicht, aber er ist immerhin aus eigener Kraft damit fertig geworden. Das ist doch was. Auch wenn ich seine Therapie für riskant halte.«
Khadidscha ging eine andere Frage durch den Kopf: »Wo ist er denn jetzt? Er hat mir von einer Reise erzählt …«
»Ich glaube, er plant irgendwas mit Jacques Reverdi.«
»Wer ist das?«
»Liest du keine Zeitung? Der Typ, der eine Touristin in Malaysia gekillt hat. Exweltmeister im Freitauchen. Er sitzt im Knast und wartet auf seinen Prozess. Ich bin mir fast sicher, dass sich Mark in den Kopf gesetzt hat, seine Lebensbeichte aus ihm herauszuholen. Das ist ja schon lange sein Traum: sich ins Hirn eines Mörders hineinzuversetzen, und sei es nur für einen Augenblick.«
Khadidscha hatte keine Fragen mehr. Sie war niedergeschmettert. Der Form halber griff sie nach ihrer Serviette. Darunter fand sie einen Umschlag – sicher hatte Vincent ihn dort versteckt.
»Was ist das?«
»Die Überraschung. Dein erster Vertrag. Schade, dass wir uns jetzt die Stimmung versaut haben.«
Khadidscha überflog ihn und sagte lächelnd: »Wenn das ein Scherz ist, dann ist es nicht witzig. ›Tarif vierzig‹ steht hier …?«
Vincent hob sein Glas. »Genau. Das wollten wir heute feiern, meine Süße. Für dich wird das Leben jetzt ein einziger Scherz!«
KAPITEL 45
    »Komm, schnell, es ist dringend.«Éric packte ihn an der Schulter. Schon die Geste bedeutete, dass es ernst war – unter normalen Umständen hätte er niemals gewagt, Reverdi anzufassen. Jacques legte seine behelfsmäßigen Hanteln ab und folgte dem Franzosen. Es war ein Uhr mittags. Die Hitze war erdrückend.
    Sie trabten durch den Hof, unter ihren nackten Fußsohlen brannte der Beton. Die Sonne stand fast senkrecht am Himmel, und die Schatten waren so kurz, so kompakt, dass sie im Boden festgewurzelt schienen. Im Schutz der Kantine hielten sie kurz an und drückten sich an die Mauer, um zu verschnaufen.
    »Wo schleppst du mich eigentlich hin?«
Die Hände auf die Knie gestützt, deutete Éric wortlos mit einer Kopfbewegung zu Block C hinüber. Noch fünfzig Meter inglühender Sonne.
    Der Kleine lief wieder los, Reverdi folgte widerwillig. Sie liefen auf den Zehenspitzen und suchten den Boden so flüchtig wie möglich zu berühren. Sekunden später waren sie wieder im Schatten – anscheinend aber noch immer nicht am Ziel, denn Érics Blick schweifte in die Ferne: über den Fußballplatz hinweg bis an den Rand des dahinterliegenden Sumpfs.
    Reverdi reichte es jetzt. »Wohin willst du, verdammt!«, stieß er hervor. »Scheiße!«Ohne zu antworten, marschierte Éric wieder los, und Jacques folgte wütend. Durch ein mit Stacheldraht eingefasstes Tor gelangten sie ins Stadion: Auf zweihundert Metern gab es keinerlei Schutz vor der Sonne mehr, abgesehen von den verwaisten Toren, die in dieser Ödnis an Galgen erinnerten.
    Zermalmt von der Hitze, schleppten sie sich mühsam vorwärts, wie Marathonläufer kurz vor dem Ziel. Ein Zwerg und ein Riese, beide im weißen T-Shirt und unförmiger Leinenhose. Ein Komikerduo, sagte sich Jacques mit zusammengebissenen

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