Das schwarze Blut
unterbrechen.
»Wir sind hier in einem Land, in dem man sich manche Dinge leichter verschaffen kann als andernorts … Für ein paar Ringgits lassen sich hier viele Gelüste befriedigen. Noch schlimmer ist es in Thailand. Für eine Hand voll Baht bekommt man alles.«
Wieder hielt der Mann inne. Mark beobachtete fasziniert die Schatten der Gespenstschrecken, die über das Gesicht des Chinesen krochen.
»Nach seiner Rückkehr aus England«, sprach Wong-Fat wie zu sich selbst weiter, »fuhr mein Sohn immer öfter nach Norden, zur thailändischen Grenze. Einmal bin ich ihm gefolgt. Ich war in jedem Bordell, in dem er Stammgast war. Ich habe mit den tauke gesprochen – den Chinesen, die solche Etablissements betreiben. Über die Neigungen und Vorlieben meines Sohnes. Und was ich zu hören bekam, hat mich entsetzt.«
In sein Schweigen klang pianissimo der dumpfe Paukenwirbel der Insekten im Hintergrund.
»Zunächst hatte er es nur auf Jungfrauen abgesehen …« Sein Mundwinkel zuckte. »Es ist scheußlich, aber hier in dieser Gegend ist das üblich. Vor allem seitdem Aids grassiert. Außerdem gelten Jungfrauen bei den Chinesen als Jungbrunnen. Das war es aber nicht, was meinen Sohn interessierte. Durchaus nicht. Es ist viel schlimmer.«
Während er sprach, zeichneten die Insekten ein schreckliches lebendes Bild auf sein braunes Gesicht.
»Er hat ihr Blut getrunken.« Er blickte Mark in die Augen, als scherte ihn sein Urteil nicht. »Er hat sie entjungfert und ihr Blut getrunken.«
Mark dachte an Alangs Verdacht: dass Reverdi das Blut seiner Opfer trinke. Und er dachte daran, wie Reverdi von Elisabeth alles über ihre Erfahrungen mit Blut jeglicher Art hatte wissen wollen. Nein. Das glaubte er nicht.
Als könnte er nicht mehr aufhören, nachdem er einmal angefangen hatte, fuhr Wong-Fat fort – es sprudelte förmlich aus ihm heraus: »Ich habe noch viel widerlichere Dinge erfahren. Er forderte die Huren auf, benutzte Kondome für ihn aufzubewahren. Er ließ sich von ihnen bepissen und den Schwanz abschnüren, damit er nicht kommen konnte. Er stellte Sachen mit kleinen Mädchen an, die ich nicht auszusprechen wage. Mit zehnjährigen Kindern! Und benutzte dazu Skorpione und Schlangen, die er mir gestohlen hatte. Sämtliche Bordelle entlang der Grenze waren in Angst und Schrecken vor ihm. Und ich – ich – bezahlte das alles!«
Die Hitze wurde allmählich unerträglich, doch der Händler schien in seiner Erregung nichts davon zu spüren. »Ich kam nach Tanah Rata zurück. Ich habe ihn gepackt und ihm wortlos ins Gesicht gespuckt. Er grinste und forderte mich auf: ›Mach weiter, das gefällt mir.‹ Da habe ich ihn geschlagen. Habe ihn verprügelt mit aller Kraft.«
Wong-Fat unterdrückte ein Schluchzen. Chinesen sieht man selten weinen, dachte Mark.
»Ich konnte nicht mehr aufhören. Ich habe geschlagen, geschlagen … Ein irrsinniger Hass brach aus mir heraus. Als hätte ich ihn schon immer maßlos gehasst.«
Mit bitterem Lächeln, als blickte er auf sein verwüstetes Lebenswerk, sagte er: »Er hat geblutet, als ich endlich aufhörte. Ich meinte ihn schluchzen zu hören. Er weinte. Mein kleiner Junge weinte. Ich trat auf ihn zu, mein ganzer Hass war wie weg’ geblasen. Ich nahm ihn in die Arme, doch es traf mich fast der Schlag: Er lachte. Lachte!« Wong-Fat versetzte der am nächsten stehenden Kiste einen Fußtritt. Die Kiste fiel um, der Deckel öffnete sich, und es kroch ein riesiger schwarzer Käfer heraus, der knatternd wie ein Hubschrauber davonflog.
»Das Schwein hat sich befriedigt. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen: Er hatte beide Hände in der Hose. Während ich ihn verprügelte, holte er sich einen runter.« Er hob den Blick und starrte Mark aus gelblich umrandeten Augen an. »Ich bin ein einfacher Mann«, sagte er. »Ich habe von klein auf mit den Insekten gelebt. Ich verdanke ihnen alles, was ich erreicht habe. Für solche Perversionen fehlt mir jegliches Verständnis. Ich habe ihn fortgejagt. Er ist ein Monstrum.«
Dann schwieg er. Mark begriff immer noch nicht, worauf der Händler mit seinen Geständnissen eigentlich hinauswollte. Eine Gespenstschrecke trippelte über seine Hand, doch er rührte sich nicht, um Wong-Fat nicht aus dem Konzept zu bringen.
»Und Reverdi?«, wagte er schließlich zu fragen. »Welche Verbindung besteht zu Ihrem Sohn? Kennen sie sich?«
»Mein Sohn ist heute Rechtsanwalt in Kuala Lumpur.«
»Und?«
»Er ist der Verteidiger von Jacques Reverdi. Angeblich der vom Gericht
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