Das schwarze Blut
bestellte Pflichtverteidiger. Aber ich weiß, dass er sich den Fall mit Schmiergeldern erkauft hat. Dieser Mörder fasziniert ihn.«
Mark fiel es wie Schuppen von den Augen. Wieso war er nicht selbst darauf gekommen, nachdem er Elisabeths Briefe an »Jimmy Wong-Fat« geschickt hatte? Der heimliche Vampir war Jacques Reverdis Verteidiger. Mit einem Mal wurde ihm übel: Außer ihm und Reverdi war Jimmy der einzige Mensch, der von der Existenz Elisabeths wusste. Ungestüm schüttelte er den Arm, um die Insekten zu verscheuchen.
»Er ist zu Reverdi in die Lehre gegangen, wie ein Schüler zum Meister«, schloss der Chinese. »Um was Neues zu lernen. Dass auch ich diesen abscheulichen Mörder gekannt habe, darf sich auf keinen Fall herumsprechen. Das wird den Verdacht gegen meinen Sohn erhärten.«
Mark ahnte, dass der Händler alles gesagt hatte. Aber das Wesentliche hatte er ihm verschwiegen. »Sagen Sie mir wenigstens, was Reverdi bei Ihnen gekauft hat?«
Wong-Fat schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will das alles jetzt vergessen. Seitdem ich weiß, dass Reverdi ein brutaler Mörder ist, kann ich mir denken, was er den Mädchen antut.«
» Was denn? «
Der Mann spuckte aus. »Nein. Es ist unvorstellbar.«
Die Wahrheit war da, zum Greifen nah – und Mark wusste, dass er sie nicht erfahren würde. Trotzdem ließ er nicht locker: »Bitte … Was hat er bei Ihnen gekauft? Sagen Sie’s mir. Sonst gehe ich zur Polizei, ich …«
Die Drohung wirkte nicht mehr. »Gehen Sie, zu wem Sie wollen. Ist mir scheißegal. Ich hoffe nur noch auf eines: dass Reverdi aufgehängt wird. So schnell wie möglich. Bevor er auch aus meinem Sohn einen Mörder macht.«
KAPITEL 43
Wie ein Feuerstreifen lag die Straße in der Abendsonne.
Überwältigt von seiner Enttäuschung, fuhr Mark mit durchgetretenem Gaspedal und scherte sich nicht darum, ob er links oder rechts fuhr. Er hatte versagt. Dabei hatte ihn Reverdi ganz eindeutig in die Cameron Highlands geschickt – dort musste der Schlüssel zu einem Rätsel liegen! Und er hatte ihn nicht gefunden. Er hatte die »Wegmarken der Ewigkeit« nicht entdeckt.
Seine Reise war umsonst.
Und die Folgen unausweichlich.
»Solltest du dich irren, wird es keinen zweiten Versuchgeben«, hatte Reverdi geschrieben. Ein bitterer Geschmack brannte Mark auf der Zunge. Er schlug mit der Faust aufs Lenkrad und konzentrierte sich auf die Straße.
Der Wald zu beiden Seiten wurde dichter, der Horizont stand in lodernden Flammen. Dieses Licht war wie eine schwere, zähe rosige Flüssigkeit, in der die ganze Landschaft versank. Darin glichen die Autos bebenden, glühenden Metallpfeilen, die wie im Zeitraffer durch das Bild flogen. Es war Sonntagabend, und es herrschte ein höllischer Wochenend-Rückreiseverkehr.
Bei der Autobahnausfahrt in der Nähe von Ipoh, deren Gefährlichkeit ihm bereits auf der Hinfahrt aufgefallen war, erreichte das Chaos seinen Höhepunkt. Während die Konturen der Landschaft zusehends verschwammen, fuhren die Autos immer tollkühner und rücksichtsloser, überholten bald rechts, bald links und bald in der Mitte, wichen auf den Seitenstreifen aus, versuchten sich hupend einen Weg zu bahnen, den es nicht gab – nicht geben konnte.
Mark, der das Steuer mit beiden Händen umklammerte, fühlte sich wie im Autoscooter. Mit scharfen Ausweichmanövern vermied er immer nur um Haaresbreite den Zusammenstoß. Der ockerfarbene Staub verdunkelte sich zu Schwarz. Der Verkehr wurde langsamer, bis er schließlich nur noch im Schritttempo dahinkroch. Ölspuren schillerten auf dem Asphalt, weiter vorn stieg schwarzer Rauch auf: ein Unfall. Wenn sich die Schwaden für einen Moment verzogen, gaben sie den Blick auf eine entsetzliche Szene frei.
Ein PKW war rechts ausgeschert und frontal mit einem entgegenkommenden Lastwagen zusammengestoßen. Halb unter der LKW-Karosserie eingeklemmt, hatte das Auto Feuer gefangen und brannte lichterloh. Zwanghaft malte sich Mark aus, in welchem Zustand der Fahrer sein musste. Es war nichts von ihm zu sehen, doch die Blutlache auf der Straße, die Flammen und der Geruch sagten genug. Wie alle, konnte auch Mark nicht den Blick abwenden, als er am Unfallort vorbeifuhr – mit zusammengekniffenen Augen und voller Furcht vor dem zu erwartenden Anblick …Von Sanitätern und Notarzt war noch nichts zu sehen, doch verständigt waren sie zweifellos, denn am Straßenrand standen etliche Fahrer mit dem Mobiltelefon am Ohr. Quälend langsam kam Mark vorwärts. Als er sich erleichtert
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