Das schwarze Blut
Khadidscha verschränkte die Arme auf dem Tisch und sah ihn eindringlich an.
»Ergeh dich nicht in Anspielungen, sondern sag, was Sache ist …«
Er lächelte schief und schüttelte den Kopf: »Vergiss es, wir sind schließlich hier, um zu feiern.«
»Wir feiern nachher.«
»Danach ist uns vielleicht die Lust drauf vergangen.«
»Das nehme ich in Kauf.«
Vincent schniefte und sah sich um, ob vielleicht der Kellner mit dem Essen kam – aber es war natürlich niemand zu sehen. Er seufzte resigniert.
»Es ist passiert, bevor ich ihn kennen lernte«, fing er an.
»1992 war es. Er war an einer ziemlich heißen Sache dran; es ging um die sizilianische Mafia. Er musste mehrere Wochen vor Ort recherchieren, und seine Lebensgefährtin sollte nachkommen.«
»Wie hieß sie?«, fragte Khadidscha mit zugeschnürter Kehle.
»Sophie. Für ihn war der Trip nach Sizilien eine Art Verlobungsreise. Er wollte sie heiraten.«
Sie senkte den Kopf, um ihre Bestürzung zu verbergen – jedes Wort verletzte sie. »Und was war dann?«
»Sie wurde ermordet.«
Khadidscha blickte auf. Vincent lächelte traurig, während er sich nachschenkte. Er trank einen großen Schluck.
»Sie waren in Catania, einer der größeren Städte auf Sizilien. Als Mark eines späten Nachmittags von einem Besuch in der Jugendstrafanstalt Bicocca zurückkam, fand er in der Pension, in der sie wohnten, ihre Leiche.«
Khadidscha begann zu verstehen, weshalb Mark sich so sonderbar verhielt. Ein Urtrauma. Es hätte die Basis für eine Beziehung mit ihr sein können, aber es war das Gegenteil: Mark hatte sich vollkommen in sich zurückgezogen. Ein Witwer, der sich in seinem Gram gegen die Welt abschottete.
»Ein Auftragsmord der Mafia?«
»Das wurde nie geklärt, aber es passt eigentlich nicht. Eher die Tat eines Irren. Vielleicht eines Serienkillers.«
»Wieso, was hat er mit ihr gemacht?«
»Das ist eine sehr unappetitliche Geschichte. Kein Thema für ein Candlelight-Dinner.«
»Erzähl schon.«
»Willst du wirklich die Einzelheiten hören?«
»Ich kann einiges verkraften, glaub mir.«
Vincent sackte in sich zusammen und betrachtete eingehend die Weinflasche, die mit ihrem geheimnisvollen schwarzen Schimmern an eine Wunderlampe erinnerte.
»Mark wollte mir die Einzelheiten nicht verraten«, fuhr er schließlich fort. »Aber mir geht’s wie dir, ich bin neugierig, und ich wollte mehr wissen. Also habe ich italienische Kollegen angerufen, die ich kenne und die ihrerseits Verbindungen mit den Karabinieri hatten. Jedenfalls hatte ich innerhalb einer Woche alles, was ich wissen wollte. Sie haben mir sogar die komplette Ermittlungsakte kopiert. Weißt du, die italienischen Paparazzi …«
»Was hast du herausgefunden?«
»Das Schlimmste, was du dir vorstellen kannst. Sie ist einem Psychopathen in die Hände gefallen.«
Wieder unterbrach er sich. Griff nach der Flasche und füllte sein Glas. Nahm wieder einen großen Schluck.
»Erst hat er sie verprügelt. Dann geknebelt und mit den Vorhangschnüren ans Bett gefesselt. Dann hat er irgendwo Gummihandschuhe aufgetrieben – und Marks Sportschuhe angezogen, die Gummisohlen hatten. Er besorgte sich ein Verlängerungskabel, legte an der einen Seite die Drähte bloß und steckte die andere Seite in die Steckdose. Und fing an, sein Opfer zu foltern – schob ihr das Kabel mit zweihundertzwanzig Volt in die Scheide, dann in den After. Nahm ihr den Knebel aus dem Mund und setzte ihre Zunge unter Strom. Dem Autopsiebericht zufolge war ihr Zahnfleisch völlig verbrannt, ebenso die Geschlechtsorgane.«
So zögerlich Vincent begonnen hatte, konnte er jetzt nicht mehr aufhören.
»Das ist noch nicht alles. Das Schwein hat weiter gemetzelt. Mittlerweile dürfte sie tot gewesen sein. Jedenfalls hoffe ich das. Nach den Elektroschocks hat ihr der Mörder mit einem Fischermesser – so einem Teil mit gekrümmter Klinge, mit dem man verhedderte Netze durchtrennt – den Bauch aufgeschlitzt, von unten bis oben. Und die inneren Organe herausgerissen und im ganzen Zimmer verteilt.«
Das Essen kam. Zu spät. Vincent war nicht mehr zu bremsen.
»Du kannst dir denken, was das für ein Anblick war, als Mark zurückkam. Die Eingeweide auf dem Parkett. Der Mund weit aufgerissen, schwarz, geschwollen. Die Sportschuhe – seine eigenen Schuhe – in einer Blutlache.«
Khadidscha blieb stumm. Sie schwebte in einem leeren Raum. Sie fiel nicht, sondern hing über einem bodenlosen Abgrund. Endlich, hundert Jahre später, hörte sie sich fragen:
»Wie hat er
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