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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Wasser ins Gesicht und kehrte ins Zimmer zurück. Die Hitze schien ihm auf einem neuen Höhepunkt. Er schaltete die Klimaanlage und den mechanischen Ventilator ein, und erst in diesem Moment sah er durch die Vorhänge, dass es draußen dunkel war.
Sein Delirium hatte den ganzen Nachmittag gedauert.
Er beschloss, sich unter die Dusche zu stellen.
Um wieder ganz zur Besinnung zu kommen.
    Dreißig Minuten später lag Mark auf dem Bett, gewaschen, gekämmt – und bei klarem Verstand. Beinahe jedenfalls. Es war acht Uhr abends. Jetzt hinauszugehen und etwas zu essen, ein schönes Reisgericht zum Beispiel, wäre vernünftig gewesen. Doch beim bloßen Gedanken an Essen durchfuhr ein scharfer Schmerz seinen Magen. Nein, er hatte etwas anderes zu tun. Er musste schreiben.
    An das Ungeheuer.
An den Henker.
    Er schaltete den Computer ein, steckte das Modemkabel in die Telefonbuchse und setzte sich auf dem Bett zurecht. Er musste detailliert Elisabeths Erkenntnisse schildern. Sie hatte begriffen, sie war der Wahrheit auf die Spur gekommen. Dafür schuldete ihr der »Geliebte« jetzt neue Hinweise.
    Mark konnte den Mörder nicht mehr loslassen.
Jetzt musste er bis ans Ende gehen.
    Von: [email protected] Gesendet: 29. Juni 2003 20:00 An: [email protected] Betreff: ANGKORMein Geliebter, beinahe hätte ich dich verloren und wäre darüber fast verrückt geworden. Nun bist du zu mir zurückgekehrt, und ich fühle mich von neuem Licht erfüllt und bade im Glück. Ein Gutes aber hatte dein Fernsein: Es hat mir einen Schmerz bereitet, der die letzten Widerstände hinweggefegt und mich bis auf den Grund meiner Seele hat blicken lassen. Als ich mich von dir verlassen glaubte, war ich nackt, verloren, mir selbst entrissen. Und ich begriff, dass der Sinn meines Daseins darin besteht, dir zu folgen … bis ans Ende. Ich weiß jetzt, dass diese Reise das unverhoffte Ziel ist, das meinem Leben einen Sinn gibt. Das mich erfüllt, mich beflügelt und läutert und ein einzigartiges Band zwischen uns knüpft.
    Mein Geliebter: Du hast mir eine neue Chance gegeben, und ich habe mit beiden Händen zugegriffen. Ich bin deinem Befehl gefolgt. Ich bin deinen Worten gefolgt. Ich habe das Fresko in Angkor gefunden. Ich habe mit dem »Meister des Goldes« gesprochen, dem Imker, der die Bienen züchtet und den Honig erzeugt, den du verwendest. Und schließlich habe ich den Weg gefunden. Ich kenne sie jetzt, die »Wegmarken der Ewigkeit« …Über eine Stunde lang schrieb Mark, immer im selben glühenden Tonfall. Er ließ nichts aus – erwähnte sogar seinen Besuch beim Cambodge Soir, seine Begegnung mit der Prinzessin Vanasi. Keinen seiner Triumphe wollte er verheimlichen. Er wusste, dass Reverdi sich ausmalte, wie die schöne Elisabeth, in Khadidschas Erscheinung, die Straßen von Phnom Penh durchmaß, auf dem Platz vor dem Königsschloss anlangte, durch die Ruinen von Angkor Thom schritt …Danach beschrieb er, was er sich vorstellte: die Einschnitte entlang den Venen, den spontanen Verschluss der Wunden durch den Honig, ihr neuerliches Aufklaffen durch die Flamme.
    Als er seinen langen Brief fertig hatte, schickte er ihn ab, ohne ihn noch einmal durchzulesen. Er wollte nichts überarbeiten – die Unmittelbarkeit sollte erhalten bleiben. Mehr denn je staunte er über seine Fähigkeit, in Elisabeths Haut zu schlüpfen. Dieser leidenschaftliche Ton, diese verliebte Bewunderung kamen ihm ganz selbstverständlich über die Lippen. Und er wollte lieber nicht zu tief in sich hineinhorchen, um nach dem Grund seiner Zwiespältigkeit zu fahnden …Aber das war nicht das Schlimmste: Viel beunruhigender fand er diese halluzinatorische Krise, die er am Nachmittag erlebt hatte. Stundenlang war er Reverdi gewesen.
    Seine ganze Persönlichkeit verschwamm zusehends. Zu fünfzig Prozent war er Elisabeth, zu fünfzig Prozent Reverdi. Was war aus dem eigentlichen Mark geworden?
    Drei Uhr morgens.
    Noch immer fand er keinen Schlaf. Die Hände im Nacken verschränkt, starrte er in die Dunkelheit und auf den sich unermüdlich drehenden Ventilator. Die Worte des Imkers kamen ihm wieder in den Sinn: »Flügel drehen sich so schnell, dass Sie nicht unterscheiden können. Menschliches Gehirn genauso. Gedanken rasen so schnell, wir können nicht auseinander halten.«Um sich abzulenken, versuchte er im Geist einen Rotorflügel zu isolieren: Gelänge es ihm, käme ihm vielleicht eine neue Idee. »Gedanken in feste Form verwandeln«, hatte der Alte gesagt.
    Auf einmal traf es ihn wie

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