Das schwarze Blut
hatte er sich einen zerschlissenen, vom Lateritstaub rötlichen Sarong um den Kopf gewickelt; darüber trug er einen Strohhut, von dem ein Fetzen grünes Tischtennisnetz vor seinem Gesicht herabhing.
Der Mann kam auf Mark zu, und als er seinen Schleier zur Seite schob, kam ein tief gefurchtes, sonnengegerbtes Gesicht zum Vorschein. Die Kinder begleiteten ihn – das eine in Latschen ohne Schnürsenkel, das andere in einer mit Schnur zugebundenen Jacke aus Tweedimitat, ein drittes mit einem Regenmantel auf der nackten Haut. Alle hatten ein grünes Netz vor dem Gesicht. Los Olvidados in der asiatischen Version. Kaum waren sie bei Mark angelangt, lüfteten sie praktisch gleichzeitig ihr Visier und starrten ihn alle mit derselben verschmitzten Neugier an.
Mark stellte sich auf Englisch vor. Der Imker bemerkte anscheinend seinen Akzent und antwortete auf Französisch. Einem Französisch alter Schule, wenngleich nicht ganz perfekt.
»Sehr erfreut, Monsieur! … Mein Name Som.«Er verzog sein Gesicht, das die Form eines Kiefernzapfens hatte, zu einem spöttischen Lächeln. Die Kinderschar kreischte und rempelte ihn, bis er schließlich zu lachen anfing und seine Zähne zeigte, die zur Hälfte aus Gold bestanden.
»Und das sind Söhne und Enkel. Ab bestimmtem Alter ist Leben ohne Kinder öd. Mensch wird trocken. Nur für sich allein leben ist traurig. Finden Sie nicht?«Mark nickte ohne rechte Überzeugung. Die letzten Kinder, denen er wirklich nahe gekommen war, hatten in Schubfächern aus rostfreiem Stahl gelegen, in Leichenhallen. Mord. Pädophilie. Inzest. Das Übliche.
Um etwaigen Fragen nach seiner Familie vorzubeugen, kam er gleich auf den Tod von Linda Kreutz zu sprechen – dabei fuchtelte er wild mit den Armen, um die Bienen zu verscheuchen. Er fühlte sich lebhaft an die Cameron Highlands erinnert, befand er sich doch in ähnlicher Gesellschaft.
»Ach, diese junge Frau …«, sagte der Imker mit einer Grimasse. »Wirklich sehr traurig. Aber wie viel Lärm gemacht wird! Wissen Sie, wie viele Mörder in Kambodscha auf freiem Fuß?«Mark setzte eine dem Anlass entsprechende Miene auf. Er rechnete mit der unvermeidlichen Wehklage über den Völkermord der Khmer, doch er täuschte sich: Som war eine Frohnatur. Er zog die Handschuhe aus und fragte: »Sind gekommen, um nach Jacques Reverdi zu fragen?«Sein Französisch mochte Lücken aufweisen – sein Verstand gewiss nicht. Mark nickte und bemerkte die Hände des Alten, auf denen der Lateritstaub sämtliche Schattierungen von Rot bis Braun, von Ocker über verschiedene Karmesintöne bis Orange hinterlassen hatte. Die Bienen und die Kinder waren verschwunden. Dafür stimmten jetzt die Vögel ein ohrenbetäubendes Gezwitscher an.
»Ich kann nichts Sensationelles Ihnen berichten«, fuhr der alte Mann fort, während er seine Handschuhe am Unterarm ausklopfte. »Ich habe Jacques sehr geliebt. Hat mich besucht, als er auf Baustelle in Ba-Phuon arbeitete.«Mark wollte keine weiteren Lobeshymnen hören. »Sie wissen vielleicht, dass er in Malaysia bei einem Mord auf frischer Tat ertappt wurde?«, fragte er.
Der alte Mann schüttelte energisch den Kopf, wobei dem Strohhut ein süßlicher, leicht widerlicher Duft entströmte, der Mark unangenehm in die Nase stieg.
»Ja, habe gehört. Aber kann nicht glauben. Vor allem die Methode. Jacques ist sehr nachdenklicher, sehr …« Er deutete mit seinen roten Fingern auf seine Brust »… innerlicher Mensch.«Mark wollte nicht schon wieder über die vielfältigen Persönlichkeiten des Mörders sprechen. »Hören Sie …«, begann er in autoritärem Ton.
»Nein, Sie hören. Jacques war Meister der Meditation. Tauchen hat ihm innere Ruhe gebracht. Sie wissen, wie Meditation geht?«»Nein.«Der Alte reckte den Zeigefinger in die Luft und ließ ihn kreisen: »Beobachten Sie heute Ventilator in Zimmer. Flügel drehen sich so schnell, dass Sie nicht unterscheiden können. Menschliches Gehirn genauso. Gedanken rasend schnell, wir können nicht auseinander halten.« Der Finger rotierte langsamer. »Halten Sie Ventilator an. Jetzt sehen Sie jeden Flügel deutlich, sehen Form … Machen Sie genauso mit Geist. Nehmen jede Idee einzeln. Sehen sie genau an. Das ist Zweck von Meditation: Gedanken in feste Form verwandeln …« Mark seufzte: »Und was hat das mit Reverdi zu tun?«»Er war Champion. Meister. Konnte jeden Gedanken einzeln betrachten. Tauchen hat ihm Kraft gegeben.«
Zwischen dem Gezwitscher der Vögel fiel Mark auf einmal ein
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