Das schwarze Blut
hier eingetroffen? Wieder brach ihm der Schweiß aus allen Poren.
»War ich … bei Bewusstsein?«
»Wirres Zeug hast du geredet.«
Sein Schweiß wurde eiskalt. Die Tröpfchen prickelten und stachen auf seiner Brust, wie lauter Spritzer der Angst.
»Was habe ich gesagt?«
»Keine Ahnung. Es war Französisch.«
»Verzieh dich«, befahl er.
Der Wärter versteifte sich bei dem gebieterischen Tonfall; doch er gehorchte und kehrte mit klirrendem Schlüsselbund hinter seinen Schreibtisch zurück. Reverdi entspannte sich, die Schultern flach auf dem Bett.
Nach einer Weile war von dem Wärter nichts mehr zu hören – eingeschlafen. Auch hinter den grünen Stäben verstummte nach und nach das Gemurmel, die Männer legten sich wieder hin.
Abermals versuchte sich Reverdi zu erinnern. Er entdeckte nichts, was mit seiner Einlieferung in die Klinik zu tun haben könnte. Doch es tauchten andere Fragmente auf, wirr durcheinander. Wörter: »Kammer«. »Wegmarken«. »Weg« … Er sah Mauern aus Bambus, Blutspuren. Wieder packte ihn die Angst. Ein Bild flammte auf: die zerschundene Frau, die nach und nach ausblutete … Warum war er in Panik geraten? Warum hatte er auf einmal derartige Angst vor seiner Gefährtin gehabt? Dass er die Kontrolle verloren hatte, würde ihn jetzt das Leben kosten. Dabei, erinnerte er sich dann, gehörte diese Entgleisung ja untrennbar zum Prozess: Er rastete jedes Mal aus, wenn die Zeremonie zu Ende ging. Aber sonst war er ja immer allein. Allein in der Kammer der Reinheit – und die kurze Umnachtung hatte keinerlei Folgen.
Er konzentrierte sich wieder auf die Szene und verfolgte sie zurück. Die von Einschnitten übersäte Frau. Seine Hand, die Flamme haltend. Das Bild wurde so scharf und klar, dass er sich wieder in der Kammer glaubte … Es lockte ihn, diesen klaffenden, strömenden Körper zu liebkosen, doch er durfte es nicht, das wusste er. Die Quelle war tabu.
Trotzdem näherte er sich seiner Geliebten und betrachtete ihre Wunden. Er bewunderte diese dunklen Bäche, die sich über die sonnengebräunte Haut ergossen. Er empfand Zärtlichkeit und grenzenlose Dankbarkeit gegenüber diesen Furchen, und er fand Frieden.
Er beugte sich vor. So nahe, dass er das Rauschen der blutenden Wunden hörte. So nahe, dass er die Wärme ihres Körpers spürte … Er schloss die Augen und schmeckte das Metallische des eigenen Bluts im Mund.
Langsam umfing ihn wieder der Schlaf.
Doch diesmal war es eine stille Rast, weit entfernt von jeglichem Albtraum.
Ein letztes Mal sah er die dunkle Lache, die sich vor seinen Füßen, rund um seine Gefährtin ausbreitete, und er vergrub sich darin wie in ein weiches, wohltuendes Kissen, in das sich seine Gedanken schmiegten.
Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen.
Er hatte keine Angst mehr: Er war geheilt.
KAPITEL 6
Bei seiner Suche nach dem Wesen des Verbrechens nahmen die Serienmörder einen eigenen Platz ein. Für Mark waren sie wie Rohdiamanten. Ungeschliffene Steine. Bei ihnen fand man keine Nebenmotive, keine blinde Raserei, keine Panik in letzter Minute. Überhaupt keinen Zustand der Erregung, der die mörderische Tat erklären, geschweige denn rechtfertigen konnte.
Nur den nackten Tötungstrieb.
Kalt, einsam, herrisch.
Er hatte alle Bücher zum Thema gelesen – Berichte,Biografien, Autobiografien der Mörder, psychologische Abhandlungen –, hatte selbst ausführliche Dossiers über manche berühmten Fälle verfasst. Er kannte sie besser als jeder andere. Jeffrey Dahmer, der seiner Beute mit der Bohrmaschine den Schädel trepanierte, um Säure hineinzugießen. Richard Trenton Chase, der das Blut seiner Opfer trank und ihre Organe im Mixer verarbeitete, um auch noch den letzten Tropfen Flüssigkeit zu gewinnen. Ed Kumper, hundertvierzig Kilo auf zwei Metern verteilt, nekrophiler Kannibale, der den Kopf des Opfers auf den Kaminsims stellte und sich mit ihm unterhielt, während er den enthaupteten Leib schändete. Ed Gein, der sich aus den gehäuteten Gesichtern seiner Opfer Masken aus Biomasse machte.
In Frankreich hatte Mark seit dem Jahr 2000 regelmäßig um die Erlaubnis angesucht, inhaftierte Serienmörder zu besuchen. Auf diese Weise hatte er zahlreiche, manchmal stundenlange Gespräche geführt: mit Francis Heaulme, mit Patrice Allègre, Guy George, Pierre Chenal … Er hatte mit ihren Angehörigen und Bekannten gesprochen und ihre Eltern kontaktiert – und die Familien ihrer Opfer.
Jedes Mal erwartete ihn dieselbe Enttäuschung.
Wie alle anderen, die er vor
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