Das schwarze Blut
die großen Kaffees aus aller Herren Länder beschaffte, und hatte sich in Zeiten, als er das Geld nur so scheffelte, eine raffinierte Maschine mit Dampfdüse zum Aufschäumen von Milch und Selbstentkalkungsfunktion zugelegt, mit der er sich wahre Nektare braute. Davon konsumierte er an die zwanzig Tassen täglich, wobei er im Tagesverlauf Marke und Herkunft des jeweiligen Kaffees immer wieder wechselte. Jetzt entschied er sich für einen Kolumbianer, den er »Teufelstrester« getauft hatte, so brutal war das Zeug: Es weckte Tote auf. Genau das, was er brauchte.
Während er an seiner weiß lackierten Theke im Stehen in winzigen Schlucken sein Gebräu schlürfte, ließ er den Blick über sein Refugium schweifen, einen riesigen, beeindruckend hohen Raum von hundertzwanzig Quadratmetern. Als er hier eingezogen war, hatte er gehofft, dass ihn die Raumhöhe auch zu geistigen Höhenflügen animieren würde. Acht Jahre später stand der Beweis dafür noch aus.
Das ebenerdig gelegene Atelier ging auf einen kleinen gepflasterten Innenhof hinaus, in dem zwei Zwerggewächse standen – zwei Wache haltende Ananasstauden, die er durch die große Glasfront sehen konnte. An den übrigen Wänden standen Regale mit seinen Büchern, seinen Noten, seinen CDs. Ganze Zeitabschnitte seines Lebens türmten sich bis zu den Dachfenstern hinauf und stellten doch nur das Vorzimmer der eigentlichen Bibliothek dar: eines kleinen zusätzlichen Souterrainraums, in dem er seine Fachbücher verwahrte.
Hier befand sich alles – oder fast alles –, was je über Serienmörder geschrieben wurde, dicht gedrängt, aufeinander gestapelt, inventarisiert. Ferner ganze Jahrgänge alter Zeitungen, die immer vom selben berichteten: der Welt des Verbrechens. Die Bibliothek war so umfassend, dass ihn häufig seine Kollegen vom Limier aufsuchten, um dieses oder jenes Werk zu Rate zu ziehen oder über historische Verbrechen zu recherchieren. Diese unterirdische Klause erklärte auch den leichten Schimmelgeruch, der oben im Loft herrschte und Vincent bei jedem Besuch zu der Bemerkung veranlasste: »Hör endlich auf, diese Giftpilze zu rauchen.«In dem großen Wohnraum war die Einrichtung auf das Allernotwendigste und Einfachste beschränkt: Eine aufgebockte Platte diente als Arbeitstisch, die Sitzecke ganz hinten bestand aus einem durchgesessenen Sofa und ein paar verstreuten Kissen, ein paar Meter rechts davon in einer Nische hatte er sein Bett, eine Matratze, die ohne Gestell auf dem blanken Boden lag. Davor stand ein niedriger Tisch mit einem großen Fernseher, und auf einem kleinen Regal hatte er allerlei elektronische Geräte übereinander gestellt – DVD- und CDPlayer, Tonband, Verstärker mit Boxen.
Mark schlief am liebsten auf dem Boden. Das war die Position des Soldaten, der aus geduckter Stellung die Basis beobachtet, die es anzugreifen gilt. Diese Perspektive brachte sein ganzes Leben auf den Punkt: immer im Versteck, immer auf der Lauer. Nachts hatte er im Widerschein der Laterne im Hof seine Bücherwand im Blick, und die kleinen roten Lämpchen, die vor ihm in der Luft schwebten, ließen ihn an die nächtliche Beleuchtung einer Startbahn denken. Wann würde er abheben? Wann würde er die Wahrheit finden, der er auf der Spur war?
Er machte sich noch einen Kaffee und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er ordnete das wüste Durcheinander aus Kopien, Notizen, Fotos, Kassetten zu ein und demselben Thema – genug, um eine ausführliche Biografie von Jacques Reverdi zu schreiben. Herausgekommen wäre allerdings die Geschichte eines großen Sportlers, nicht die eines Mörders.
Die letzten zwei Tage hatte Mark Schritt für Schritt seinen Werdegang rekonstruiert. Anfang der achtziger Jahre war Jacques ein echter Star gewesen. Artikel, Interviews, Fotos zeichneten das heroische Bild eines der größten Freitaucher vor der Jahrtausendwende, der auf einer Stufe mit Jacques Mayol und Umberto Pelizzari stand. Doch im Unterschied zu vielen Kollegen gab Reverdi in den Interviews nicht die üblichen Klischees zum Besten, wie Suche nach dem Absoluten, Rückkehr zum Meer, der großen Nährmutter, aus der alles Leben hervorgegangen ist, Vertrautheit mit den Meeressäugern … Ganz im Gegenteil betonte er stets das Widernatürliche des Freitauchens und die damit verbundenen Gefahren: das Risiko der Ohnmacht, die ständige Bedrohung durch den Druck, den Tiefenrausch. Mark wusste sehr gut, wovon er sprach, er hatte sich selbst im Tauchen versucht, auf Korsika –
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