Das schwarze Blut
Bilder?«
Der Koloss zog drei Umschläge aus seinem Jackett. Seit dem Drama um Lady Di hatte er sich der Modefotografie zugewandt, doch um der alten Erinnerungen willen erklärte er sich hin und wieder bereit, ein paar Abzüge als Illustration zu Marks Ermittlungsergebnissen zu basteln. In gespielt vorwurfsvollem Ton bemerkte er:
»Ich frag mich wirklich, wieso ich mich damit herumquäle, Verbrechervisagen zu reproduzieren. Wenn ich an die göttlichen Mädchen denke, die im Studio auf mich warten …«
Mark steckte die Hand in den ersten Umschlag und zog ein anthropometrisches Porträt von Jacques Reverdi hervor. Er las die Bildunterschrift.
»Das stammt von seiner Verhaftung in Kambodscha. Eine Aufnahme aus Malaysia hast du nicht?«
» No, Sir. Ich hab die AFP in Kuala Lumpur angerufen: Es gibt kein offizielles Porträt aus Malaysia. Die Polizei hat ihn nicht lang genug behalten, sondern sofort in die Psychiatrie abgeschoben, und jetzt …«
»Danke, das ist mir bekannt.«
Mark betrachtete Reverdis Gesicht. Die Fotos, die er bisher gesehen hatte, stammten aus seiner glorreichen Vergangenheit als Freitaucher – Bilder eines strahlenden Siegers im Taucheranzug, in der Hand die Plakette mit der Angabe seines Tiefenrekords. Ganz anders das Porträt aus Kambodscha. Aus Reverdis schmalem, muskulösem, gefurchtem Gesicht war jedes Lächeln verschwunden. Um seine Mundwinkel war etwas Verdrossenes, und der Blick war schwarz und unergründlich. Mark öffnete den nächsten Umschlag und erblickte eine junge Frau, fast noch ein Mädchen. Pernille Mosensen. Helle Augen, ein engelhaftes Gesicht, umrahmt von tiefschwarzen, sehr glatten Haaren. Und eine durchscheinende, beinahe leuchtende Haut. Mark fühlte sich an das helle Fleisch exotischer Früchte erinnert.
»Das ist alles, was die Leute von der AFP mir geschickt haben«, sagte Vincent. »Es ist ihr Passfoto. Ich hab’s am Rechner bearbeitet …«
Der Gesichtsausdruck der jungen Dänin verriet das Bestreben, ernst zu wirken. Doch trotz der braven Miene spürte man eine überschwängliche Jugend unter ihren Wimpern strahlen, und auf ihren Lippen bebte ein kaum im Zaum gehaltenes Lächeln. Er stellte sich vor, wie sie sich auf Südostasien vorbereitete – sicher ihre allererste große Reise … »Und der Körper?«, fragte er.
» Nada. Das oberste Gericht von Malaysia hat nichts herausgerückt. Offenbar wollen sie keine Werbung machen.« »Und die andere? Die Frau aus Kambodscha?«
Vincent nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Coladose und legte den dritten Umschlag auf den Tisch.
»Da hab ich nur das hier gefunden. Aus dem Archiv des Parisien. Und das war harte Arbeit, das kannst du mir glauben.
Es ist eine Reproduktion aus den Käseblättern von Phnom Penh.
Du siehst das Raster der Druckerei.«
Linda Kreutz war eine Rothaarige mit zarten Gesichtszügen, die sich nur in ganz feinen, leichten Andeutungen verrieten.
Eine schwerelose Physiognomie, teils verborgen unter einer Lockenmähne, die aber bei dem groben Korn des Zeitungsdrucks kaum ins Gewicht fiel. In der gerasterten Wiedergabe verlor sich ihr Gesichtsausdruck und bekam etwas Unwirkliches. Ein Phantom aus der Nachrichtenredaktion. »Und es gibt auch von ihr keine Aufnahme der Leiche?« »Nichts, was sich veröffentlichen ließe. Cambodge Soir hat mir Fotos geschickt. Das Mädchen wurde drei Tage nach seinem Tod in einem Fluss gefunden. Der Körper so aufgebläht, dass er fast am Platzen war. Die Zunge wie eine Salatgurke. Glaub mir, das ist nichts für die Veröffentlichung. Nicht mal in deinem Mistblättchen.«
Mark steckte die drei Umschläge ein. Vincent schlug einen vertraulichen Ton an:
»Hast du heut Abend schon was vor?«
Das Gesicht des Fotografen war nach derselben Vorlage modelliert wie sein Körper: massig, rötlich, schlaff. Ein Menschenfressergesicht, halb versteckt hinter einer Haarsträhne, die ihm über das linke Auge fiel und an das Stirnband eines Piraten denken ließ. Sein Mund stand immer halb offen, wie bei einer hechelnden Dogge. Mit breitem Grinsen schwenkte er einen weiteren Umschlag:
»Interessiert dich das vielleicht?«
Mark warf einen Blick hinein: Aufnahmen von nackten jungen Frauen. Neben seinen offiziellen Aufträgen für Zeitschriften machte Vincent auch Bewerbungsfotos für Models in spe. Er nutzte die Gelegenheit, um sie auch ohne Hüllen zu fotografieren.
»Nicht schlecht, was?«
Sein Atem verströmte eine Mischung aus Cola- und Alkoholschwaden. Mark blätterte den Stapel durch:
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