Das schwarze Blut
großen Liebe. Nichts als ein Roman, der, wenn Mark sich dahinterklemmte, ein Erfolg werden konnte.
Doch Elisabeth hatte ein würdigeres Begräbnis verdient. Mark klappte den Rechner zu, schob ihn in den Aktenkoffer und suchte, nachdem er sich von der Theke eine Schachtel Streichhölzer geholt hatte, mit dem Koffer unter dem Arm die Toilette auf. Er sperrte sich in einer Kabine ein und kramte in der Seitentasche des Aktenkoffers nach Khadidschas Porträt, das er wie einen Glücksbringer aufbewahrt hatte.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass keine Rauch- und Hitzemelder über ihm waren, hielt er vorsichtig das Foto über die Schüssel und zündete es an. Versonnen sah er zu, wie das Feuer in das Hochglanzpapier biss und das Gesicht der schönen Algerierin auffraß. Er lächelte ihr zu und murmelte: »Leb wohl, Elisabeth …«Als die letzten verkohlten Fetzen ins Wasser fielen, betätigte er die Spülung und erinnerte sich an eine identische Szene Jahre früher, als er auf der Toilette in der Redaktion einer berühmten Pariser Zeitschrift die Kopie des Totenscheins von Lady Di verbrannt hatte. Damals war die kleine Lohe sein Abschied von der Prinzessin gewesen – und von seinem Beruf als Skandalreporter.
Auch diesmal stand das Feuer für einen Wendepunkt in seinem Leben: Er trennte sich von Elisabeth, um Schriftsteller zu werden.
Mark kehrte ins Business Center zurück. Nun war es Zeit, sich mit dem Aufbau des Romans zu beschäftigen. Er wunderte sich selbst über seine Ruhe. Die jedoch prekär war: Unter der Oberfläche gärte es, noch immer wühlte die Übelkeit in seinen Eingeweiden, und die Angst drohte jede Sekunde sich in einem langen Schrei Bahn zu brechen. Er war der Komplize eines Mörders! Der einzige Mensch auf der Welt, der sein Geheimnis kannte.
Einen Moment lang war er versucht, eine radikale Kehrtwendung zu vollziehen: Sollte er nicht nach Malaysia zurückkehren, sich mit dem Untersuchungsrichter in Verbindung setzen, auf Ehre und Gewissen aussagen und als Beweisstücke die Briefe vorlegen … Es war nur ein momentaner Anflug. Er leerte das Champagnerglas und begann zu tippen. Wozu sollte es gut sein, die Verbrechen im Rahmen eines Prozesses aufzuklären, dessen Ausgang ohnehin feststand, wenn er einen fesselnden Thriller daraus machen konnte?
Er konzentrierte sich auf sein Konzept. Er schrieb in einem fort, ohne sich zu korrigieren, und nach nicht einmal einer Stunde hatte er zwanzig Seiten fertig, die er mit Befriedigung las. Nein, »Befriedigung« war viel zu schwach: Mit einem Entzücken, das an Euphorie grenzte, ließ er sich jedes Wort auf der Zunge zergehen. Seine Hände zitterten. Sein Herz hämmerte. Der Plot war fantastisch, geradezu revolutionär. Davon war er umso mehr überzeugt, als er selbst ja gar nichts dazu getan hatte: Nichts davon war erfunden.
Auf der leuchtenden Fläche seines Bildschirms betrachtete er den Rohdiamanten, nach dem er so lange gesucht hatte: Jacques Reverdis Wahnsinn, offen zutage liegend. Er hatte seinen Edelstein gefunden, aus dem ihn umgebenden Gestein herausgelöst, gereinigt – und konnte ihn jetzt von allen Seiten begutachten.
In seinem Überschwang fand Mark, er könne bereits in diesem Stadium versuchen, einen Verleger für sein Projekt zu gewinnen. Eigentlich kannte er nur einen Verlag, der infrage kam, für den er auch schon mehrfach Texte geschrieben hatte.
Also suchte er in seinem Mailprogramm – dem echten, das auf den Namen Mark Dupeyrat lautete – die Mailadresse seines Ansprechpartners. Nach einer kurzen Einführung, in der er erklärte, wie ihm auf einer Südostasienreise die Idee zu diesem Roman gekommen sei, fügte er sein Exposé als Anlage bei und schloss mit der Frage: »Sind Sie interessiert?«Er kannte die Antwort im Voraus. Er war schon im Begriff, die Nachricht abzuschicken, als ihm auffiel, dass er ja noch immer keinen Titel hatte. Kurz entschlossen schrieb er in Großbuchstaben über seinen Text:
SCHWARZES BLUT
DIE RÜCKKEHR
KAPITEL 67
Als er die Augen öffnete, durchflog die Maschine die Wolken über Paris.
Mark musste an schmutzige alte Lumpen denken. Der Dreck, der Gestank der Großstadt waren ihm in die Netzhaut eingebrannt, hatten sich in den Schleimhäuten der Nase derart festgesetzt, dass er sogar im Flugzeug, in seiner »Business Class« von ihnen eingeholt zu werden meinte. Er blickte durchs Fenster auf die Lichter der Île-de-France hinab, die winzig im frühmorgendlichen Dunst unter ihm flimmerten. An diesem
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