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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Erweiterung von Reverdis Wesen gesagt hatte. Wie Recht sie hatte – sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Kammer der Reinheit wurde zur Projektion seines Körpers. Seine Person und seine Macht reichten bis an die Wände der Zelle.
    Und das Opfer verendete in Reverdis »Reich«, im wahrsten Sinn des Wortes: in seiner Festung, der Apnoe.
Mark kehrte im Geist zum Tatort zurück, in den Raum, in dem jetzt praktisch keine Luft mehr vorhanden war, wie der Mensch sie zum Überleben braucht, die Kerzen flackerten und zu verlöschen drohten, die Frau immer schwächer wurde.
Jetzt, vor ihrem letzten Atemzug ergriff Reverdi eine Kerze und ließ die Flamme über die Einschnitte züngeln, um den eingetrockneten Honig zu verflüssigen und die Wunden wieder zu öffnen. Gleichzeitig nahm er der Sterbenden den Knebel ab, damit sie ein letztes Mal nach Luft schnappen konnte. Es war etwas extrem Perverses an dieser Methode, bei der sich der röchelnde Mund und die Kerzenflamme den letzten Rest Sauerstoff streitig machten. Die Kerze tötete die Frau auf zweierlei Weise: indem sie den Honig über den Einschnitten verflüssigte und ihr die Atemluft stahl … An dieser Stelle hielt Mark den Film in seinem Kopf an. Warum brachte Reverdi sein Opfer zweimal um, sowohl durch Ersticken als auch durch Ausbluten?
Noch durchschaute er nicht alles.
    Wieder konzentrierte er sich auf die Perspektive des Mörders. Er stellte sich das aus den Armen, den Schenkeln, dem Rumpf hervorquellende Blut vor – und begriff, weshalb in beiden Hütten eine Stirnlampe auf dem Boden gelegen hatte: In einem zunehmend sauerstoffarmen Raum verlöschen früher oder später auch die Kerzen; um sein Werk bis zum Schluss betrachten zu können, benötigte Reverdi elektrischen Strom. Wider Willen bewunderte Mark den aus zahlreichen Quellen, wie Wildbäche aus einer Bergflanke hervorsprudelnden Blutfluss. Dieser gemarterte Körper wurde zum Gletscher aus Blut, mit Feuer zum Schmelzen gebracht.
    Und er begriff noch etwas. Die Farbe Rot. Keinen anderen Zweck verfolgte das Ritual. Offensichtlich ging es dem Mörder darum, diese leuchtende Farbe in einem nach seinen Vorstellungen vollkommen reinen Raum zu betrachten.
    Zweifellos hatte der Sauerstoffmangel Auswirkungen auf die Farbe des Blutes, zweifellos bewirkte die Verbindung von Hämoglobin und Kohlendioxid eine chemische Umwandlung.
    Aber welche? Mark brauchte einen Experten. Auf Anhieb fiel ihm ein Name ein: Alang, der Gerichtsmediziner. Er tastete seine Taschen nach dem Mobiltelefon ab, das er sich in Phuket ausgeliehen hatte.
    Der Arzt meldete sich sofort. Kaum hatte er erkannt, wer am Apparat war, lachte er hell auf, und seine spontane Fröhlichkeit fuhr Mark durch Mark und Bein: Er war nahe daran, in Tränen auszubrechen, riss sich aber zusammen.
    »Ich rufe an«, begann er, »weil ich dich was fragen muss. Ich brauche eine Auskunft von dir.«»Ich auch! Ein schottischer Troubadour im roten Mantel, der auf die Lachszucht umgestiegen ist?«
Mark seufzte. Mühsam entschraubte er sich der Gegenwart und kramte in seinen musikalischen Erinnerungen. Die Situation hätte absurder nicht sein können.
»Ian Anderson von Jethro Tull.«
»Du bist ein Genie! Was willst du wissen?«
Erschlagen von der Hitze, lehnte Mark sich zurück. Brennender Schweiß rann ihm von der Stirn in die Augen.
»Stell dir vor – nur mal angenommen, wohlgemerkt –, es fließt Blut in einer sauerstofffreien Atmosphäre …«
»Bisschen genauer bitte. Meinst du eine blutende Wunde oder, was weiß ich – eine Blutprobe im Labor?«
»Eine Wunde. Am Körper eines lebenden Menschen.«
»Hat das wieder mit Reverdi zu tun?«
»Mit wem sonst? Die Wunden bluten in einem hermetisch abgeriegelten Raum ohne Sauerstoff.«
»Versteh ich nicht. In dem Fall ist dein Opfer doch schon tot.«
Mark hätte am liebsten gebrüllt, aber er zwang sich zur Ruhe.
»Das geschieht alles in ein und demselben Moment: Das Opfer verblutet und erstickt gleichzeitig. Die Szene findet praktisch in einem Vakuum statt, verstehst du?«
»Weiter.«
»Hat das Fehlen von Sauerstoff einen Einfluss auf die Farbe des Blutes?«
»Das möcht ich meinen.«
»Was für eine Farbe hätte es dann?«
»Gar keine.«
»Was heißt das?«
»Das Blut wäre schwarz. Völlig schwarz. Rot wird das Blut durch Sauerstoff, der sich ans Hämoglobin bindet. Je weniger Sauerstoff, desto dunkler ist es. Deshalb sehen die Venen dicht unter der Hautoberfläche blau aus: Dort ist das Blut so sauerstoffarm, dass

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