Das schwarze Blut
es bräunlich wird. Und deshalb ist auch der Leichnam eines Erstickungstoten grau. Das Phänomen ist bekannt: Man spricht dabei von einer Zyanose, was sich vom griechischen › kuanos ‹ herleitet, das heißt ›dunkelblau‹. Meiner Meinung nach wäre das Blut in deinem Fall so dunkel, dass es schwarz aussieht.«
»Aber wieso?«, fragte Mark noch einmal, ungläubig.
»Verstehst du nicht? Das Hämoglobin im Blut hätte keinerlei Kontakt mehr mit Sauerstoffmolekülen, weder aus dem Körperinnern noch aus der Atemluft. Es wäre also das reinste Desoxihämoglobin. So dunkelviolett, dass es praktisch schwarz ist. In Malaysia bildet das ›schwarze Blut‹ den Stoff zahlreicher Legenden. Es ist die Farbe des Todes schlechthin …«
Mark hörte nicht mehr, was Alang sagte. Diese Information hätte ihm nicht neu sein dürfen. Hatte ihm nicht die Gynäkologin, die er zu Zeiten seiner Pariser Ermittlungen befragt hatte, schon allerlei über das dunkle, sauerstoffarme Venenblut erzählt?
Schwarz.
Schwarzes Blut.
Das eigentliche Ziel, das Jacques Reverdi verfolgte.
Die geliebte Frau in einen Quell schwarzen Blutes zu verwandeln.
» Die Farbe der Wahrheit, die zugleich die Farbe der Lüge ist. «
Mark beendete das Gespräch. Im grellweißen Licht drehte sich alles vor seinen Augen. Dunkle Flecken tanzten unter seinen Lidern. Er fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Die Wahrheit sickerte in ihn ein wie ein zähflüssiger, von Erkenntnissen, Folgerichtigkeit und Wahnsinn gesättigter Saft … An diesen Irrsinn würde er sich gewöhnen müssen.
Denn das war der kriminelle Trieb, dem er seit jeher auf der Spur gewesen war. Dem er unbedingt hatte ins Auge blicken wollen.
Wie viele Frauen hatte Reverdi getötet, um sich an dieser vollkommenen Schwärze zu delektieren?
KAPITEL 66
Fliehen.
Mit dem Geheimnis fliehen.
Mark nahm wieder ein Taxi und ließ sich quer durch Bangkokzum Flughafen fahren. Er nahm nichts wahr – sah nichts, hörte nichts, spürte nichts, nur sein Herzschlag dröhnte ihm in den Ohren. Er ballte die Fäuste, bis die Knöchel weiß wurden. Raus aus diesem Land. Fort von diesem Albtraum. Das Geheimnis mitnehmen und verschwinden, so weit wie möglich.
Die Neutralität des Flughafengeländes war eine Erleichterung. Er ging auf den Business-Class-Schalter zu, dann besann er sich: Angesichts seines Zustands – und des Schatzes, den er gehoben hatte – hatte er eine Rückreise de luxe verdient.
Er ging zum Schalter der Cathay Pacific, einer der namhaftesten asiatischen Fluglinien, und erstand ein ErsterKlasse-Ticket. Ein brutaler Hammerschlag auf das Sparschwein: fünftausend Euro für einen simplen Rückflug nach Paris. Sei’s drum – er genehmigte sich einfach einen Vorschuss auf den Vorschuss, den er den Verlegern abknöpfen würde. Aus Gewohnheit drückte er seine Reisetasche an sich. Sein Computer. Sein Buch. Seine Zukunft.
Sein Ticket öffnete ihm die Tür zur VIP-Lounge des Flughafens, einem großzügigen, in goldbraunen Tönen gehaltenen Raum mit schlichten geometrischen Linien und Symmetrien.
In der Strenge des Raums erblickte Mark ein Symbol: Es war an der Zeit, Ordnung in seinem Leben zu schaffen. Während er auf seinen Flug wartete, wollte er die Struktur seines Romans erstellen. Den Plot festsetzen: Nachdem er nun sein Ziel kannte, fiel es ihm leicht, den roten Faden auszulegen.
An der Bar stellte er sich einen Teller mit Kanapees zusammen, schenkte sich auch ein Glas Champagner ein und ging dann auf das Business Center zu, einen großen Glaskasten, in dem den Passagieren Rechner, Telefone und Faxgeräte zur Verfügung standen.
Er suchte sich einen Platz und schloss seinen Computer ans Netz an. Bevor er mit der eigentlichen Arbeit begann, musste er aufräumen. Er setzte sich mit seinem Server »Voilà« in Verbindung und rief die Startseite auf, wo er sich durch diverse Links klickte, bis ihn das Programm fragte, ob er sicher sei, dass er sich abmelden wolle, und ihn auf eine noch ungelesene Nachricht hinwies: Das war zweifellos die letzte Anweisung von Reverdi, der Elisabeth in die Strafvollzugsanstalt Kanara bestellte. Mit einem Mausklick bestätigte Mark die Kündigung. Er löschte die letzte Nachricht und seine Mailadresse.
Fortan war jeder Kontakt mit Elisabeth unmöglich. Elisabeth Bremen war gestorben.
Tot und begraben.
In ein paar Wochen wäre es auch mit Jacques Reverdi so weit. Verurteilt und hingerichtet.
Dann wäre nichts mehr übrig von dieser brieflichenLeidenschaft, dieser fiktiven
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