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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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wackligen Beinen ging Mark zum Labor hinüber.
    »Das ist ja wohl ein Witz!«, fuhr ihn Kantamala, die Kippe im Mund, fuchsteufelswild an.
    »Wieso, was hast du gefunden?«
»Nichts.«
»Wie, nichts?«
»Keine Spur von Schadstoffen oder überhauptFremdsubstanzen.«
»Das kann nicht sein … Die Probe stammt aus einer Lunge.
Sie …«
»Jaja, glaub ich dir ja. Aber der Typ ist an keinem Umweltgift gestorben. Er ist erstickt.«
Mark zwinkerte nervös mit den Augen. Der Mann schien vor ihm zu schweben.
    »In deiner Spritze war Myoglobin, das ist der Muskelfarbstoff, der Gase bindet. Ich hab’s analysiert. Zu achtzig Prozent Kohlendioxid.«Mark wusste damit nichts anzufangen.
»Von körperfremdem Gift kann keine Rede sein«, fuhrKantamala zwischen zwei Zügen an der Zigarette fort. »Der Typ ist erstickt – das war die Todesursache. Allerdings nicht durch ein Kissen auf dem Gesicht. Von einem Trauma ist keine Spur zu erkennen. Kein Anzeichen eines Pleuraergusses – das ist diese Ansammlung gelblicher Flüssigkeit, die nach einem gewaltsamen Tod im Brustraum auftritt. Nein, deine Leiche ist langsam gestorben, am Sauerstoffmangel – also an einer Kohlendioxidvergiftung, wenn du so willst.«Unter Marks Füßen schwankte die Straße.
    »Ich weiß nicht, was ihr bezweckt«, fuhr der Chemiker in schärferem Ton fort, »aber mich lasst da bloß aus dem Spiel. Mit ökologischen Fragen hat das nichts mehr zu tun. Das ist Mord, verstehst du?«Mark taumelte auf die Straße, zwischen die Autos, die Stände, die Passanten. Wie vor den Kopf geschlagen von der bestürzenden Wahrheit.
    Die Mordwaffe war kein Messer.
Sondern die Hütte.
Die Kammer der Reinheit, in der alles Leben erstickte. Das war Reverdis Markenzeichen.
Der Meister des Freitauchens brachte seine Opfer um, indemer sie des Sauerstoffs beraubte.
KAPITEL 65
    Mark tauchte wieder in die Menge ein. Er ging die Pran-NokStraße entlang bis zur Haltestelle des Linienschiffs, wo er sich noch einmal auf seine Bank im Schatten des umzäunten Stationsgebäudes setzte und seine letzten Teilstücke des Puzzles rekapitulierte. Endlich kannte er den Modus Operandi des Mörders bis ins letzte Detail.
    Reverdi sperrte sein Opfer zuerst in einer vollständig abgedichteten Hütte ein und wartete geduldig, bis der gesamte Sauerstoffvorrat darin verbraucht war. Wie lang dauerte diese Marter? Sicher viele Stunden. Vielleicht Tage.
    Mark stellte sich die gefesselte, geknebelte Frau vor, die immer schwerer atmete, immer mühsamer nach Luft rang, während die wachsende Kohlendioxidkonzentration sie nach und nach vergiftete. Und Jacques Reverdi beobachtete sie. Er sah ihrem Sterben zu. Saß ihr mit überkreuzten Beinen auf dem Boden gegenüber und weidete sich am Anblick des Mädchens, das, mundtot und bewegungsunfähig gemacht, tonlos schrie …Zu welchem Zeitpunkt nahm er die Einschnitte vor? Zweifellos während dieses Wartens. Doch anders als Mark zuerst vermutet hatte, öffnete er die Wunden nicht gleich wieder. Er wartete, bis sein Opfer dem Ersticken nahe war, ehe er daranging, es ausbluten zu lassen.
    Hier allerdings hatte die Sache einen Haken. Der Erstickungstod zog sich ja über Stunden hin: So lange die Luft anzuhalten schaffte selbst der beste Freitaucher nicht. Wie hielt Reverdi das durch?
    Blitzartig kam ihm die Erkenntnis: Wie das letzte Teilchen eines Puzzles seinen Platz einnimmt, so erschienen vor Marks geistigem Auge die beiden Druckluftflaschen, die er in der ersten wie in der zweiten Hütte vorgefunden, aber nicht weiter beachtet hatte. Natürlich hatte es auch mit ihnen eine Bewandtnis: Während das Opfer mit dem Tod rang, atmete sein Mörder, die Lippen um den Regler geschlossen, die komprimierte Luft aus der Flasche.
    In diesem Stadium wurde die Sterbende zum Messgerät, an dem er die Zusammensetzung der Atmosphäre ablas. Je mehr sie sich wand und nach Luft rang, desto geringer war der Sauerstoffgehalt im Raum. Jeder ihrer stummen Schreie, jedes Röcheln war ein Indiz für die fortschreitende »Reinheit«, die Reverdi anstrebte. Wenn das Opfer nur noch wenige Sekunden zu leben hatte, war die Kammer bereit.
    Er konnte zur Tat schreiten.
Er legte den Atemregler ab und stellte das Atmen ein.
    Das war es, das war die unfassliche Wahrheit: Reverdi musste diesen tödlichen Raum nicht fürchten, denn er kam selbstverständlich minutenlang ohne zu atmen aus. Die Reinheit der Hütte war »seine« Reinheit.
    Wieder dachte Mark daran, was Dr. Norman über den Tatort als

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