Das schwarze Blut
Verleger war eine Verlegerin.
Renata Santi. Der Name klang wie ein Pseudonym – und warauch eines. Renata hatte ihn sich zugelegt, als sie ins Verlagsgeschäft eingestiegen war. Zuerst hatte sie die Edition Santi und kurz darauf einen zweiten Verlag unter dem Namen ihres frisch angetrauten Ehemannes gegründet: das Verlagshaus Casal. Später, nach der Scheidung und dem Verkauf ihrer Anteile an den beiden Unternehmen, hätte sie ihren Mädchennamen wieder annehmen können, doch sie wäre eine Unbekannte in der Branche gewesen. Also hatte sie ihren Decknamen beibehalten und einen dritten Verlag aufgezogen, den sie diesmal nach ihrem Sohn Lorenzo nannte.
Es war alles ein bisschen kompliziert, und Mark hätte nicht sagen können, ob er die Zusammenhänge wirklich durchschaute. Er kannte Renata von früher, als sie gemeinsam an verschiedenen Dokumentationen gearbeitet hatten, die es in aller Eile nach Maßgabe der aktuellen Ereignisse umzuschreiben galt.
»Ich verstehe Sie wirklich nicht«, wiederholte sie. »Ich fand Ihr Exposé ungemein spannend. Wieso werfen Sie jetzt alles hin?«Mark gab keine Antwort. Sie saßen in Renatas Büro, im ersten Stock eines Gebäudes mit Bogenfenstern im 6. Arrondissement.
»Wenn Sie den Umfang der Arbeit scheuen«, fuhr sie fort, »kann ich Ihnen Hilfe besorgen. Für so etwas haben wir Spezialisten. Aber ich weiß doch, dass Sie schnell arbeiten. Und gut.«Mark lächelte über das Kompliment. Er hatte den 9. Juni abgewartet, der ein Feiertag war, und Renata erst tags darauf, am Dienstag aufgesucht, um ihr seinen Entschluss mitzuteilen. Inzwischen hatten sich seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Khadidschas Gesicht prangte an allen Hauswänden von Paris. Ihm waren die Hände gebunden. Er konnte sich nur in einen Winkel verkriechen und hoffen, dass Reverdi nichts davon mitbekam – durch ein französisches Magazin zum Beispiel.
»Für unseren Verlag ist das die Gelegenheit, auf die ich seit Jahren gewartet habe. Im Bereich Belletristik einen Coup zu landen – das ist die Chance. Wir könnten Ihr Buch schon im September herausbringen und die Herbstsaison mit einer Sensation einläuten.«Mark fixierte sein Gegenüber. Die Frau war ein Phänomen. Inzwischen an die sechzig, hatte sie noch immer eine pechschwarze – zweifellos gefärbte – lange Lockenmähne, die ihr weiß gepudertes Gesicht förmlich unter sich begrub. Mit ihren breiten Schultern hatte sie Ähnlichkeit mit einem Rocksänger, zumal sie sich grundsätzlich schwarz kleidete. Für sich betrachtet, war jede einzelne ihrer dunklen Kleiderschichten von erstaunlicher Koketterie: weiche Weste, Seemannskittel, Petit-Bateau-Shirt, Piratenhose, die knapp über ihren Radfahrerwaden endete, die ihrerseits in schimmernden Seidenstrümpfen steckten.
»Wenn es eine Frage des Honorars ist …«
»Nein, es geht mir nicht ums Geld.«
Sie richtete sich wie eine Herrscherin in ihrem Sessel auf. Die aufgeworfenen, dunkelbraun bemalten Lippen gabenihrem Gesicht etwas Schmollendes.
»Worum dann?«
»Es interessiert mich einfach nicht mehr, das ist alles.« »Schade. Wirklich schade.«Gedankenverloren blätterte sie in dem Exposé, das Mark ihr von Bangkok aus geschickt hatte. Warum war es ihm zuerst so eilig gewesen?
»Der Erfolg wäre vorprogrammiert. Zumal angesichts IhrerPersönlichkeit …«
»Was hat denn meine Persönlichkeit damit zu tun?« »Das wissen Sie so gut wie ich …«
»Nein. Weiß ich nicht.«
»Bei Ihrer Vergangenheit, die doch recht … bewegt war? Alsehemaliger Paparazzo. Als Skandalreporter mit unfehlbarem Instinkt. Als Spezialist für Verbrechen. Das alles gäbe Ihrem Buch zusätzliche Glaubwürdigkeit.«»Das ist kein Tatsachenbericht.«
Sie lächelte.
»Natürlich. Aber es ist unverkennbar, woher Sie Ihre Anregungen haben.«Mark fuhr auf. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Na, dieser mordende Freitaucher, der kürzlich in Malaysia verhaftet wurde: Sie haben sich von Jacques Reverdi inspirierenlassen, nicht?«
Allein bei der Erwähnung des Namens drehte sich ihm der Magen um. Hatte er sich wirklich eingebildet, dass niemand diesen Zusammenhang herstellen würde?
»Wenn es das ist, was Sie fürchten«, fügte sie hinzu, »keine Sorge: Reverdi wird bald nur noch eine Erinnerung sein.« Sie schob ihm eine Zeitung zu.
»Die heutige Ausgabe von Le Monde. Reverdi hat nicht die geringste Chance mehr, der Todesstrafe zu entgehen. Sein Anwalt hat Selbstmord begangen.«
Mark wäre fast vom Stuhl gefallen. Die
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