Das schwarze Blut
die ihr Gesicht bestimmten. Seltsamerweise hatte Mark bei ihrem Anblick an zwei Rockstars denken müssen, die sogar unterschiedlichen Geschlechts waren: Cher und Marilyn Manson. Gleichzeitig war an ihrer Haltung eine stoische Feierlichkeit, etwas Starr-Sakrales wie bei einer Märtyrerin. Monique Reverdi war eine Mischung aus Heiligenbildchen und Plattencover.
Mark hatte sogar frühere Kollegen von ihr ausfindig gemacht und mit ihnen telefoniert: Nach einhelliger Ansicht war Monique Reverdi eine engagierte und großzügige Frau gewesen.
»Eine Heilige.« Warum hatte sie sich die Pulsadern aufgeschnitten?
Aus seiner Erfahrung als Gerichtsreporter wusste Mark eines mit Sicherheit: Die einzige Gemeinsamkeit von Massenmördern ist ihre gestörte Kindheit. Häusliche Gewalt, Alkoholismus, Vernachlässigung, Inzest … Was bei Jacques offensichtlich nicht zutraf, denn er war von seiner Mutter liebevoll umsorgt worden. Hatte die Entdeckung ihrer Leiche ausgereicht, um eine mörderische Psychose auszulösen?
Mark trank seinen Kaffee – der kalt geworden war. Er musste eine neue Spur finden. Nicht um seinen nächsten Artikel zu schreiben, sondern um das Wesen des Raubtiers besser zu begreifen. Er ordnete seine Unterlagen, die Fotos, seine Notizen nach den jeweiligen Zeitabschnitten. Als er zur Akte »Kambodscha« kam, stellte er fest, dass er bis auf das Porträt von Linda Kreutz und ein paar Presseausschnitten aus französischen Tageszeitungen so gut wie nichts hatte. Er hatte die französische Botschaft in Phnom Penh kontaktiert, aber das Personal war ausgewechselt worden. Die Prozessakten waren unmöglich einzusehen: Die Verhandlung war genau in die Zeit des Staatsstreichs gefallen. Auch der kambodschanische Verteidiger Reverdis war unauffindbar. Wie es aussah, war die kambodschanische Justiz eher chaotisch … Dann kam ihm die rettende Idee. Irgendwo hatte er gelesen, dass die Familie Kreutz wohlhabend sei. Zweifellos hatten die Eltern des Opfers damals auch einen deutschen Anwalt eingeschaltet, um Klage einzureichen und als Zivilkläger aufzutreten. Vielleicht hatten sie sogar einen Privatdetektiv engagiert, der Licht in die Angelegenheit bringen sollte. Instinktiv war sich Mark sicher, dass die Eltern von Reverdis Schuld überzeugt waren und seine Freilassung sie zutiefst verbittert haben musste.
Seine neuerliche Verhaftung, nachdem er auf frischer Tat ertappt worden war, könnte sie auf die Idee bringen, den Fall in Kambodscha wieder aufzurollen. Ja, hier war durchaus noch etwas zu holen. Mark musste herausbringen, wer der mit dem Fall betraute Anwalt war.
KAPITEL 7
Mark hatte seine Taktiken, um an Informationen zu gelangen – und das Internet war bei weitem nicht sein Mittel der Wahl: zu groß, zu chaotisch. Eigentlich ging nichts über persönliche Kontakte und ein Telefonat mit dem richtigen Gesprächspartner. Er rief also in der deutschen Botschaft an, wo er den Pressesprecher kannte. Der legte gar nicht erst auf, sondern verband ihn gleich mit einem befreundeten Stern-Reporter, einem Spezialisten für Gerichtsreportagen, der seinerzeit über den Mordfall Kreutz berichtet hatte. Und der wiederum hatte noch die Adresse und Telefonnummer von Erich Schrecker, dem Anwalt der Familie, und rückte sie auch bereitwillig heraus.
Wenige Minuten später hatte Mark den Anwalt am Apparat. In seinem schönsten Englisch setzte er ihm sein Anliegen auseinander: Er wolle eventuellen Verbindungen zwischen dem Fall von Johor Baharu und der seinerzeit in Kambodscha erhobenen und wieder fallen gelassenen Anklage gegen den Taucher nachgehen … Aber Schrecker unterbrach ihn unwirsch:
»Tut mir leid, ich kann dazu nichts sagen.«
»Verraten Sie mir wenigstens, ob Sie eine Wiederaufnahme des Verfahrens anstrengen wollen. Ist es jetzt, nach Reverdis Verhaftung in Malaysia, möglich, in Kambodscha Berufung einzulegen?«
»Der Fall ist abgeschlossen. Das Verfahren wurde eingestellt.«
Aus seinem Tonfall schloss Mark, dass Schrecker und die Familie Kreutz sich bereits eine Strategie zurechtgelegt hatten.
»Haben Sie sich mit der Nebenklägerin in Malaysia in Verbindung gesetzt?«
»Es ist zu früh, um irgendetwas dazu zu sagen.«
»Aber die beiden Fälle weisen doch ziemliche Ähnlichkeiten auf, nicht?«
»Hören Sie. Wir verschwenden unsere Zeit, Sie und ich. Ich werde Ihnen nichts sagen. Sie wissen, dass Anwälte nicht mitJournalisten reden, es sei denn, es nützt ihrem Mandanten. In diesem Fall ist vor allem eines dringend geboten:
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