Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
war. Mit angehaltenem Atem löste ich die Seile und griff nach dem Messer, dem schärfsten im Haus, mit dem sie früher Zwiebeln und Knoblauch geschnitten hatte, das ich mir bereitgelegt hatte. Und damit säbelte ich ihr beide Handgelenke auf.
Dann passierte das Wunder.
In diesem Zimmer, in dem es keinerlei Sauerstoff mehr gab, war das Blut, das aus ihr herausfloss – schwarz.
Total schwarz.
Zuerst war ich erschrocken, aber gleich darauf geriet ich in Ekstase. Ich bewunderte diesen Körper, der einen derartigen Nektar absonderte. Niemals hatte ich etwas so Schönes gesehen. Ein so reines, so wahres Gemälde. Medizinisch betrachtet, war das Phänomen eine schlichte Zyanose, bedingt durch Sauerstoffmangel, doch für mich war dieses teerschwarze Rinnsal das dem Körper meiner Mutter entweichende Böse. Dieses schwarze Blut war die Wahrheit dieser Frau – ihre Lasterhaftigkeit und ihre Lügen.
Ich stand auf und merkte jetzt, dass ich in die Hose ejakuliert hatte. Zum ersten Mal in meinem Leben. In der Reinheit der Apnoe. Damit stand fest, dass es keinen anderen Weg für mich gab. In diesem Moment, das weiß ich, ist an meinem Hinterkopf ein Zeichen erschienen. Entlang einer gekrümmten Linie sind mir die Haare ausgefallen und nie wieder nachgewachsen. Diese Linie war das Symbol meines künftigen Schicksals.«
Marks Verstand, das nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgte Gehirn, arbeitete nur noch auf Sparflamme. Reverdi trat näher zu ihm. Seine Stimme war immer noch erstaunlich klar:
»Du bist in deinem Buch nicht weit genug gegangen. Du wolltest – oder konntest – mir nicht bis zu einem bestimmten Punkt folgen. Dorthin, wo die Beweggründe kristallin werden. Dabei bin ich, meine ich, Elisabeth gegenüber deutlich genug geworden …«
Mark warf einen Blick zu Khadidscha hinüber. Sie japste nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, und aus ihrer Brust drang ein entsetzliches Pfeifen. Dass er nichts für sie tun konnte, machte ihn rasend. Er war selbst der Ohnmacht nahe. Zwischen zwei Hustenanfällen röchelte er, beinahe tonlos:
»Wie … wie viele hast du ermordet?«
»In Südostasien«, sagte Reverdi lächelnd, »verschwinden jedes Jahr Tausende. Von dieser Zahl habe ich mir meinen Tribut genommen. Das schwarze Blut ist für mich weder ein physikalisches Phänomen noch ein Unfall. Geschweige denn ein hingeschludertes Buch! Es ist eine ewige Suche, der Sinn meines Lebens. Diese tiefen Gewässer sind es, in die ich hinabtauche. Meine wahre Kunst, das war nie bloß die Hundertmetermarke, zu der ich hinuntergetaucht bin …«
Der kugelförmige Raum konnte allenfalls noch einen erbärmlichen Rest Sauerstoff enthalten. Doch die bläuliche Flamme der Lampe flackerte noch immer. Reverdi warf einen Blick auf sein Messgerät:
»Zehn Prozent. Die Zeit drängt.«
Er wandte sich zu Khadidscha: »Bist du praktizierende Muslimin, meine Schöne?«
Sie reagierte nicht. Ohnmächtig. Vielleicht schon tot. Er aber fuhr fort, als könnte sie ihn hören: »Nein? Dann kennst du auch nicht jene Stelle aus dem Hadith, die lautet: ›Es steht geschrieben, dass der Gesandte Gottes vor seiner Berufung in tiefem Schlaf zu Boden sank. Und zwei weiß bekleidete Menschen stiegen herab, einer hatte in seiner Hand eine goldene Trinkschale, in der viel Schnee war. Sie beugten sich zu ihm hinab und spalteten seine Brust. Sein Herz nahmen sie heraus, rissen es auf, nahmen davon ein schwarzes Blutstück und warfen es zur Seite. Danach reinigten sie seine Brust und sein Herz mit dem Schnee. Dann ließen sie ihn und gingen fort. Nun war der Gesandte Gottes rein, um den Glauben zu verkünden.‹«
Reverdi griff nach dem Atemregler, der über einen Schlauch mit dem Ventil einer Druckluftflasche verbunden war. Zum ersten Mal schwang Zorn in seiner Stimme:
»Du kannst dich bei mir bedanken, Mark. Deinet- und ihretwegen. Nach all euren Lügen und Sünden werde ich euch reinigen, werde euch läutern, wie der Prophet Muhammad von den weiß bekleideten Menschen geläutert wurde …«
Mark hatte nicht mehr die Kraft, den Kopf zu heben – immer wieder schwanden ihm jetzt die Sinne, und in seinem Bewusstsein klafften schwarze Löcher. Ihn beherrschte nur noch ein Gedanke: Zeit zu gewinnen. Ein paar Sekunden. Und etwas zu tun, irgendetwas, um Khadidscha zu retten.
Der Mörder wollte das Ventil in den Mund nehmen, als Mark keuchte: »Warte noch.«
KAPITEL 85
    Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Krächzen. »Warum der Bambus? Warum ist das Rascheln

Weitere Kostenlose Bücher