Das schwarze Blut
genug anwesend, dass meine Lehrer auf meine geistigen Fähigkeiten aufmerksam wurden. Sie kannten meine familiäre Situation. Sie suchten nach einer Möglichkeit, mich von meiner Mutter zu trennen – ich sollte in ein Internat kommen und sie in eine spezielle Anstalt. Das wäre vielleicht die Lösung gewesen. Wäre ich von zu Hause fortgegangen, hätte ich meine Albträume, meine finsteren Triebe vielleicht überwinden und ein normaler Mensch werden können. Vielleicht. Aber sie hat, wie immer, alles verdorben.
Eines Tages wurde sie merkwürdig schmeichlerisch, direkt zärtlich. Ich roch den Braten sofort. Tatsächlich hatte ich mich nicht getäuscht: Mangels anderer Kandidaten wollte die Irre jetzt von mir befriedigt werden. Als sie meinen Schwanz anfasste, unterschrieb sie ihr Todesurteil. Mein ganzer angestauter Hass brach wieder aus. Ich wusste sofort, was zu tun war. Während ich ihre Hand packte und wie eine abgehackte Hühnerklaue von mir schleuderte, plante ich ihre Hinrichtung.«
Jacques Reverdi lächelte versonnen.
Mark beobachtete ihn fasziniert: Obwohl das Atmen jetzt eine einzige Qual war, obwohl er sein Ende nahen fühlte, hatte er auf einmal Verständnis für seinen Feind, ja beinahe Mitgefühl: Hinter dem Riesen im schwarzen Taucheranzug, diesem mordenden Psychopathen, sah er einen panischen, traumatisierten kleinen Jungen, der in einen Rattanschrank eingesperrt war.
»Ich machte mich ans Werk. Und zwar griff ich auf einen Plan zurück, den ich mir schon Jahre früher für sie ausgedacht hatte. Für die Vorbereitungen – die Beschaffung des Materials, die Tests und so weiter – brauchte ich mehrere Wochen. Eines Abends, als meine Mutter auf ihrem Bett lag und aus einem üblen Rausch aufwachte, merkte sie, dass sie sich nicht rühren konnte – sie war an die Pfosten gefesselt. Sie hob den Kopf und sah mich auf dem Boden sitzen. Ich war endlich im Frieden mit mir und konnte sie wieder ansehen. Sie fing an zu lachen, dann zu schreien, dann beides auf einmal, schließlich kotzte sie auf ihr zerknittertes Kleid. Dass ihr schlecht war, wunderte sie zuerst nicht – schließlich war sie’s gewöhnt, einen Kater zu haben. Aber als sie anfing zu husten und nach Luft zu schnappen, dämmerte ihr, dass was nicht stimmte. Es war nicht bloß ein Scherz, was ihr Sohn mit ihr aufführte.
Zwei Wochen lang hatte ich das Zimmer sorgfältig abgedichtet, hatte Fensterritzen, Lüftungsschlitze, den Türspalt verstopft, hatte sämtliche Lücken mit Rattanfasern ausgefüllt – in Erinnerung an das Gefängnis im Schrank. Meine Mutter sollte dieselben Empfindungen verspüren, die sie mir aufgezwungen hatte: die Panik vor dem Ersticken, die Todesangst, die Finsternis. Während sie schluchzend auf dem Bett lag, saß ich seelenruhig auf dem Boden und sah zu, wie die Dunkelheit sich über das Zimmer legte. Über ihren Mund, ihr Gehirn.
Das war erst der Anfang. Nach meinen Berechnungen würde es achtundvierzig Stunden dauern, bis sie erstickt war. Aber in ihrem jämmerlichen Zustand hielt sie nicht mal so lang durch: Schon am nächsten Abend, gegen elf Uhr, fing ihr Todeskampf an. Ich rührte mich nicht, war ein Schatten im Schatten. Wahrscheinlich hat sie gar nicht bemerkt, dass ich jetzt eine Druckluftflasche zum Atmen benutzte, während sie stückweise krepierte.
Es vergingen etliche Stunden. Ich sah ihr zu, wie sie sich aufbäumte, um Hilfe schrie, ihren riesigen Mund aufriss und sich mit der kohlendioxidgesättigten Luft vergiftete. Damit beschleunigte sie natürlich den Prozess – ich habe versucht, sie zu warnen, aber sie hörte nicht. Sie flennte, kotzte, flehte mich an mit ihrem Blick einer geilen alten Hündin. Dann kamen ein paar letzte Zuckungen, und sie fiel in sich zusammen wie eine zerfledderte Puppe.
Ich war in einem unbeschreiblichen Zustand des Jubels. Goldene Funken tanzten mir vor den Augen, mein Herz schlug langsam und mächtig wie eine nächtliche Brandung. Ich nahm das Ventil aus dem Mund und hielt die Luft an. Ich wollte genau sehen, wie sie ihren letzten Atemzug tat. Wie sie nach den allerletzten Sauerstoffatomen schnappte, die sie mir in der Kindheit geraubt hatte. Sie richtete ihre Augen auf mich – und ich fragte mich, wieso ich mit der Vollstreckung des Urteils so lang gewartet hatte.
Mein Plan umfasste noch einen zweiten Akt: Ich musste die Hinrichtung als Selbstmord tarnen. Ich hatte vorgehabt, ihr dort, wo ihr die Fesseln ins Fleisch schnitten, die Pulsadern aufzuschlitzen, bevor sie ganz tot
Weitere Kostenlose Bücher